Sonntag, 10. August 2008

Ein Jeck ist ein Jeck


Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der „Bild am Sonntag“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten MICHAEL BACKHAUS und JOCHEN GAUGELE:

Frage: Herr Westerwelle, Sie leben mitten in Berlin, haben aber immer noch eine Wohnung in Ihrer Heimatstadt Bonn. Kommen Sie vom Rheinland nicht los?
WESTERWELLE: Ich habe gar nicht die Absicht, vom Rheinland loszukommen. Ich will hier sogar beerdigt werden. Aber: Das eilt nicht!
Frage: Ihr Vater hat Sie und Ihre drei Brüder allein großgezogen – und dazu noch eine Anwaltskanzlei geführt. Wie darf man sich den Alltag in dieser Familien-Männer-WG vorstellen?
WESTERWELLE: Bunt bis chaotisch. Man wird dadurch sehr früh sehr selbstständig. Das war sicherlich nicht immer leicht, vor allen Dingen für meinen Vater.
Frage: Wer hat gekocht?
WESTERWELLE: Mal mein Vater, mal wir Kinder. Dann haben wir Hilfe gehabt, besonders meine Patentante, die uns großartig als Kinder und Jugendliche betreut und umsorgt hat.
Frage: Hat sie Ihnen die Mutter ersetzt?
WESTERWELLE: Nein, das kann man ja nicht. Die Patentante war Nachbarin in unserem Haus. Mein Vater und diese Tante Tini waren befreundet. Sie ist in hohem Alter inzwischen verstorben. Die Leidenschaft für Pferde und fürs Reiten habe ich mit ihr geteilt. Aber es gab auch viel Zeit bei der Mutter, die nur zehn Minuten mit der Straßenbahn entfernt von uns gewohnt hat.
Frage: Als Ihre Eltern sich trennten, waren Sie gerade acht – und wurden „fett wie ein Speckpfannkuchen“, wie Sie BILD am SONNTAG einmal anvertraut haben. Wie lange hat es gedauert, bis Sie die Trennung überwunden haben?
WESTERWELLE: Figürlich bis 13. Dann kam die Pubertät, und jedes Kilo hat sich ausgewachsen. Wenn die Eltern sich scheiden lassen, hört sich das nach großem Schmerz an, und das ist es in dem Augenblick auch. Zumal Scheidungen in den siebziger Jahren nicht so selbstverständlich waren. Erst recht nicht, wenn man anschließend beim Vater groß wird. Da hat man schon das Gefühl, dass man sein Kreuz zu tragen hat. Und natürlich ist das dann auch mal an den Zeugnissen ablesbar. Aber die Situation hatte auch Gutes.
Frage: Was war gut daran?
WESTERWELLE: Ich habe das Kämpfen gelernt. Und Verantwortungsbewusstsein, weil ich sehr früh Verantwortung für mich selbst und in der Familie übernehmen musste. Wenn man etwas älter ist, versteht man, dass es viel vernünftiger ist, wenn sich zwei Erwachsene sagen: Das passt nicht mehr zusammen – statt sich zusammen zu zwingen und den Kindern permanent Frustrationen, schlechte Laune, Verzweiflung und Unglück vorzuleben. Wir sind sehr lebensbejahend und fröhlich groß geworden. Heute würde man das vielleicht Patchwork-Familie nennen.
Frage: Der Schriftsteller Uwe Johnson hat den Satz geprägt: Heimat ist dort, wo die Erinnerung Bescheid weiß. Was ist Heimat für Sie?
WESTERWELLE: Heimat ist dort, wo man groß geworden ist. Den Kirchturm vergisst man nie, und an das Knarren des Bettes wird man sich ein Leben lang erinnern. Bei mir war es die hölzerne Spieluhr, die aufgezogen wurde zum Einschlafen: „Morgen früh, wenn Gott will, wirst Du wieder geweckt.“ Daneben gibt es eine patriotische Heimat, die ich genauso fühle.
Frage: Was fühlen Sie da?
WESTERWELLE: Stolz zu sein auf das eigene Land, auf die Leistung der Menschen. Ich habe mich nie gescheut zu sagen: Ich bin stolz auf Deutschland. Noch vor kurzem wurde man dafür beschimpft und in die Nähe eines Skinheads gerückt. Was für ein Glück, dass sich vor allem die jungen Deutschen wieder zu einem gesunden Patriotismus bekennen! Das mag sich jetzt spießig anhören, aber mir geht die Seele auf, wenn ich durch einen deutschen Wald laufe oder wenn ich frühmorgens eine Wiesenlandschaft im Hunsrück sehe. Da geht mir das Herz zehnmal mehr auf als in den Tropen unter Palmen.
Frage: Auch dieser Reiterhof ist für Sie Heimat.
WESTERWELLE: Hier habe ich richtig Reiten gelernt, da war ich zwölf oder dreizehn. Rheinländer, Westfalen oder auch diese herrlichen Trakehner sind etwas prächtiges.
Frage: Was bedeuten Ihnen Pferde?
WESTERWELLE: Die erste Erinnerung an mein ganzes Leben ist, wie ich auf einem Pferd sitze, und mein Vater hält mich fest. Ich war damals drei Jahre alt, und ich weiß noch, wie hoch mir das vorkam. Die Reiterei hat mich nie losgelassen. Faszinierend finde ich, dass Pferde ein eingebautes Navigationssystem haben. Wenn die Menschen schon längst die Orientierung verloren haben, finden Pferde immer noch zurück. Die wissen, wo sie hinwollen. Deswegen muss ich in einem früheren Leben wahrscheinlich auch ein Pferd gewesen sein. Ich weiß sehr genau, wo ich hin will.
Frage: Sagen Sie es uns.
WESTERWELLE: In die Regierungsverantwortung, weil wir es besser können. Ansonsten halte ich mich da lieber an eine Lebensweisheit von Hans-Dietrich Genscher: In der Politik beantwortet man Fragen, wenn sie sich stellen. Nicht immer dann, wenn sie einem gestellt werden.
Frage: Dann verraten Sie uns, ob Sie ein Lieblingspferd hatten.
WESTERWELLE: Ja, das hieß Armin. Es hatte seine Pubertät zur selben Zeit wie ich. Von diesem Pferd bin ich so oft gestürzt, dass man es nicht mehr zählen kann. Ich kann mich an einen Ausritt erinnern, da stach Armin wieder mal der Hafer. Er machte zwei, drei schöne Buckel, und ich landete auf irgendeinem Acker. Armin war eine wirkliche Seele. Er rannte nicht weg, sondern kam zurück, beugte sich über mich und guckte mich triumphierend an.
Frage: Ging das immer gut aus?
WESTERWELLE: Ich muss einen unglaublich freundlichen Schutzengel haben, denn ich habe mich nie ernsthaft verletzt. Mich haben Pferde gebissen und getreten. Einmal hat mir ein Pferd, als ich ihm die Hufe auskratzen wollte, in die Kniescheibe getreten, um die Region wenige Zentimeter höher nicht zu benennen.
Frage: Ihr Lebensgefährte Michael Mronz ist Manager des größten Reitturniers der Welt – des CHIO in Aachen –, kann aber selber nicht reiten. Warum konnten Sie ihn von den Freuden der Reiterei nicht überzeugen?

WESTERWELLE: Er hat es viele Jahre, bevor wir uns kennen lernten, einmal versucht. Das endete damit, dass er aus den Stiefeln nicht mehr rauskam. Die mussten aufgeschnitten werden. Seitdem lässt er es. Dafür habe ich größtes Verständnis.
Frage: Das Bonn der 70er und 80er Jahre war katholisch-konservativ geprägt. War es als Homosexueller immer einfach, ein unbeschwertes Heimatgefühl zu entwickeln?
WESTERWELLE: Das ist das erste Mal, dass Heimat in einen Zusammenhang mit sexueller Orientierung gestellt wird. Ich bin absolut fasziniert, wie Sie sich diese Kurve erarbeitet haben.
Frage: Wenn man in jungen Jahren diskriminiert wird, fällt es schwer, Heimatgefühle zu entwickeln.
WESTERWELLE: Bonn ist Rheinland! Das Rheinland ist liberal. Und im Rheinland gilt die Devise: Leben und leben lassen. Wir sagen hier: Jeder Jeck ist anders. Und der eine oder andere eben auch andersrum.
Frage: So einfach war das?
WESTERWELLE: Natürlich gab es Momente, in denen ich mich schlecht behandelt fühlte, besonders in meiner Schulzeit. Aber unangenehme Erlebnisse haben auch andere Schüler – auf unterschiedlichen Baustellen. Von meinen Lehrern und im Studium bin ich immer sehr anständig behandelt worden. Nun war ich auch selbstbewusst genug, Diskriminierungen gepflegt zu überhören.
Frage: Können Sie lachen, wenn Sie im Karneval wegen Ihrer Neigung durch den Kakao gezogen werden?
WESTERWELLE: Die Tatsache, dass ich mit einem Mann zusammenlebe, wird auf Karnevalssitzungen auch in meiner Anwesenheit nicht ausgespart. Darüber kann ich herzlich lachen. Es kommt sehr selten vor, dass jemand wirklich danebengreift.
Frage: Sie haben einmal gesagt: „Mir fehlt der Geruch der weiten Welt.“ Der Satz könnte auch von Kurt Beck stammen...
WESTERWELLE: Bei mir bezog er sich aufs Studium. Anders als mein Bruder Kai habe ich keine Semester im Ausland verbracht. Das lag an meinem Engagement bei den Jungen Liberalen.
Frage: Sie und Beck sind beide am Rhein geboren. Gibt es da eine leichte Seelenverwandtschaft?
WESTERWELLE: Ich glaube nicht. Und mehr möchte ich zu Herrn Kollegen Beck auch gar nicht sagen müssen. Er hat es schwer genug.
Frage: Unterstellt, Sie werden 2009 Außenminister und sind die Hälfte des Jahres unterwegs: Haben Sie Sorge, dass Sie dann Heimweh plagt?
WESTERWELLE: Ich bin ja als Vertreter der stärksten Oppositionspartei international viel unterwegs. Ich habe unsere Truppen in Afghanistan besucht, China offiziell bereist. Ich habe mir in den Jahren der Opposition außenpolitische Trittfestigkeit erarbeitet. Heimweh plagt mich allenfalls am Schluss eines zehntägigen Mallorca-Urlaubs – und nicht auf Dienstreise.
Frage: Herr Westerwelle, an diesem Wochenende wird Oskar Lafontaine im Saarland zum ersten Ministerpräsidentenkandidaten der Linken gekürt. In Hessen unternimmt Andrea Ypsilanti einen neuen Anlauf, um mit Hilfe der Linken in Hessen an die Macht zu kommen. Regiert die Linke bald auch im Bund?
WESTERWELLE: Die Gefahr eines linken Bündnisses aus SPD, Grünen und Linkspartei ist real. Falls wir 2009 eine linke Mehrheit im Bundestag bekommen, ist die Gefahr überragend groß, dass daraus auch eine linke Regierungsmehrheit wird. Da wird ein Kanzlerkandidat Steinmeier genauso schnell abgeräumt wie zuvor Kurt Beck. Dann steht Klaus Wowereit ante portas. Der hat gewiss nicht vor, den Rest seines Berufslebens im Roten Rathaus von Berlin zu verbringen. Klaus Wowereit sieht das Kanzleramt von seinem Arbeitsplatz aus. Vielleicht rüttelt er nicht am Zaun wie Gerhard Schröder. Aber dass er nachts mit dem Gedanken einschläft: „Da will ich rein“ – das halte ich für sicher.
Frage: Nach der letzten Bundestagswahl haben Sie eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen abgelehnt. Würden Sie das im kommenden Jahr eins zu eins wieder machen, wenn es für Schwarz-Gelb nicht reicht?
WESTERWELLE: Diese Frage werde ich Ihnen vor der Bundestagswahl beantworten. Ich bedauere den Linksrutsch von SPD und Grünen. Ich kritisiere entschieden, dass die Union diesen Linksrutsch mitmacht. Und trotzdem ist die Summe der Gemeinsamkeiten mit der Union derzeit immer noch größer als das, was uns mit SPD und Grünen verbindet.
Frage: Was ist Ihr Wahlziel?
WESTERWELLE: Ich denke, dass die FDP ein zweistelliges Ergebnis holen kann.
Frage: Trotzdem könnte es für Schwarz-Gelb nicht reichen. Dann müssen Sie nicht nur der Union, sondern auch den Grünen Konzessionen machen.
WESTERWELLE: Wir werben für klare Verhältnisse. Wer mit uns regieren will, muss Bedingungen erfüllen – zuallererst die Einführung eines niedrigeren, einfacheren und gerechteren Steuersystems. Wir entlasten die Mittelschicht...
Frage: ... und reißen dabei neue Löcher in den Haushalt.
WESTERWELLE: Nein! Es gibt genügend Sparmöglichkeiten. Ich nenne Ihnen nur ein Beispiel: Deutschland zahlt China in diesem Jahr etwa 200 Millionen Euro Entwicklungshilfe. Dabei hat uns China im letzen Jahr von Platz drei auf Platz vier der großen Wirtschaftsnationen verwiesen. Im kommenden Jahr liefert sich China mit uns ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den Titel des Exportweltmeisters. Dass wir unseren schärfsten Konkurrenten auch noch mit deutschen Steuergeldern dopen, halte ich für eine törichte Verschwendung.
Frage: Die FDP hat in den ersten 49 Jahren Bundesrepublik Deutschland 42 Jahre mitregiert. Unter Ihrer Führung ist sie seit zehn Jahren in der Opposition. Die Partei erwartet von ihrem Vorsitzenden, dass er sie 2009 endlich wieder an die Macht führt.
WESTERWELLE: Unsere Wähler erwarten vor allem, dass wir Wort halten. Die FDP könnte längst in der Regierung sitzen, und ich wäre Vizekanzler, wenn wir 2005 bereit gewesen wären, unser Wort zu brechen und mit SPD und Grünen eine Koalition zu bilden.
Frage: Zunehmend heimatlos fühlt sich der Finanzexperte Friedrich Merz in der CDU. An diesem Wochenende brechen Sie mit Merz zu einer gemeinsamen Wanderung im Sauerland auf. Bieten ihm die Liberalen eine neue politische Heimat?
WESTERWELLE: Ich kenne Friedrich Merz und seine wunderbare Frau seit meinen Studententagen. Mir ist nicht bekannt, dass er seine Partei verlassen will. Das ist auch nicht der Hintergrund unserer gemeinsamen Veranstaltung in seinem Wahlkreis. Mir geht es darum, Kräfte wie Friedrich Merz oder Wolfgang Clement zu unterstützen, die vom Linksrutsch ihrer Parteien enttäuscht sind.
Frage: Vier Wochen später ist Merz Gastredner auf der Klausurtagung der FDP-Bundestagsfraktion. Das ist doch kein Zufall!
WESTERWELLE: Friedrich Merz vertritt wirtschafts- und sozialpolitisch vernünftige Ansichten. Aber nach seinen Plänen müssen Sie ihn selbst befragen. Ich habe nicht vor, ihm sein Leben in der CDU noch schwerer zu machen, indem ich ihn öffentlich einlade, der FDP beizutreten. Ich kann Ihnen aber gern grundsätzlich versichern, dass die FDP keinen Aufnahmestopp hat.
Frage: Vielleicht bleibt Merz nicht der einzige Neuzugang. Der gesamte Wirtschaftsflügel der Union klagt lauthals über den Kurs von Kanzlerin Merkel.
WESTERWELLE: Mich wundert das nicht. Schauen Sie: Viele Bürger erleben, dass sie sich das normale Leben nicht mehr leisten können. Die Preise galoppieren. Und der größte Preistreiber ist die Regierung. Zwei Drittel dessen, was die Bürger an der Tankstelle bezahlen, fließt in die Staatskasse. Da ist es unbegreiflich, dass die Bundesregierung den Vorschlag des französischen Staatspräsidenten zurückweist, auf Energie den ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu erheben. Ich forderte Frau Merkel auf, ihre Blockadehaltung aufzugeben und die maßlosen Steuern für Energie zu senken. Für Kaviar 7 Prozent Mehrwertsteuer, aber für Energie volle 19 – das ist unfair.
Frage: Die Union hat eine andere Antwort auf die steigenden Energiepreise: den Wiedereinstieg in die Atomkraft.
WESTERWELLE: Die Union macht einen Fehler, wenn sie sagt: Das Allheilmittel einer modernen Energiepolitik ist die Kernkraft. Das ist weder ökologisch noch ökonomisch vernünftig. Die Kernkraft ist eine notwendige Übergangstechnologie – aber auch die Uranvorräte sind begrenzt. Kernkraft hilft uns, Zeit zu gewinnen, bis wir den Energiebedarf durch erneuerbare Energien wie die Sonnenkraft besser decken können. Wir müssen loskommen von der Verbrennung von Öl und Gas – allein deshalb, weil sie uns ausgehen und unbezahlbar werden. Der vorzeitige rot-grüne Ausstieg aus der Kernkraft ist genauso falsch wie eine Energiepolitik, die langfristig auf endliche Rohstoffe setzt.
Frage: In diesen Tagen erleben wir ein eklatantes Versagen der Eliten in Deutschland. Ein Gewerkschaftsboss entschwindet gratis in die Südsee, während die Mitglieder im Arbeitskampf stehen. Und Krankenkassenchefs nehmen, was sie kriegen können – selbst Viagra auf Kosten der Beitragszahler. Geht das auf Dauer an die Substanz der Gesellschaft?
WESTERWELLE: Die Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen werden durch den Kassensozialismus jedenfalls noch zunehmen. Wenn wir noch mehr Planwirtschaft bekommen, wird es noch mehr Privilegien und noch mehr Missstände geben. Die FDP wird vor der bayerischen Landtagswahl versuchen, den Gesundheitsfonds mit einem Antrag im Bundestag zu stoppen. Außer Frau Merkel, Frau Schmidt und Herrn Seehofer glaubt niemand mehr an dieses bürokratische Monstrum. Ich fordere die Abgeordneten von Union und SPD auf, mit uns mindestens für eine Verschiebung in die nächste Wahlperiode zu stimmen, damit vorher die Wähler das Wort haben.
Frage: Ver.di Chef Bsirske kehrt am Wochenende aus der Südsee zurück, ist am Montag wieder im Dienst. Was empfehlen Sie ihm?
WESTERWELLE: Ob Herr Bsirske in der Südsee oder in der Antarktis Urlaub macht oder ganz dort bleibt, ist mir egal. Der eigentliche Skandal ist die Interessenskollision seiner beiden Ämter: Als Ver.di-Chef ist er Streikführer gegen Lufthansa, als stellvertretender Aufsichtsratschef ist er dem Wohl des Unternehmens verpflichtet. Herr Bsirske muss seinen Aufsichtsratsposten sofort aufgeben. Solche Interessenskollisionen sind unerträglich und sollten durch die Mitbestimmungsgesetze unterbunden werden.
Frage: Welche Regelung schwebt Ihnen vor?
WESTERWELLE: Betriebsfremde Gewerkschafter haben in Aufsichtsräten nichts verloren. Herr Bsirske ist Politikwissenschaftler und hat früher für den sozialistischen Jugendbund „Falken“ gearbeitet – was hat er mit dem Lufthansa-Kranich zu tun? Die Gewerkschaftsseite sollte verpflichtet werden, Arbeitnehmervertreter aus dem jeweiligen Unternehmen zu entsenden.
Frage: Herr Westerwelle, Sie sind jetzt auch schon 46. Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ hat die ersten grauen Haare an Ihnen entdeckt und außerdem „ein halbes Gramm zu viel auf den Hüften“. Beunruhigt Sie das?
WESTERWELLE: Sie sehen, es gibt auch gnädige Journalisten.

Freitag, 14. März 2008

Zum Bundespräsidenten

Berlin. Zu den heutigen Äußerungen von Union und SPD über eine mögliche zweite Amtszeit des Bundespräsidenten erklärt der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende Dr. GUIDO WESTERWELLE:

„Das Mauern von Union und SPD ist eine Zumutung. Ein amtierender Bundespräsident kann sich nicht zur Wiederwahl stellen, ohne dass die Parteien ihm auch eine Mehrheit in Aussicht stellen.“

Mittwoch, 12. März 2008

Die Koalitionspartner der FDP

Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der „Berliner Zeitung“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte SIGRID AVERESCH:
Frage: Kann die SPD in ihrer derzeitigen Situation ein Koalitionspartner für die FDP sein?
WESTERWELLE: Dafür fehlt derzeit die inhaltliche Grundlage.

Frage: Gleichwohl sind Sie von der starren Festlegung zu Gunsten einer Koalition mit der Union abgerückt. Warum haben Sie dann den Kurswechsel vollzogen?
WESTERWELLE: Eine bürgerliche Mehrheit wäre das Beste, weil die inhaltlichen Gemeinsamkeiten mit der Union immer noch am größten sind. Wenn es dafür aber in einem Fünfparteiensystem nicht reicht, wird die FDP nicht tatenlos zusehen, wie Deutschland von Sozialisten und Kommunisten mitregiert wird.

Frage: Sie distanzieren sich von einem Partner, ohne neue Bündnisse zu sehen oder zu erschließen. Welchen Sinn macht das?
WESTERWELLE: Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Union inzwischen eine Partei der größten Beliebigkeit geworden ist. Sie will um jeden Preis, mit jedem faulen Kompromiss und mit jedem Partner regieren. Wir sind deshalb als FDP gut beraten, einen eigenständigen Kurs zu verfolgen. Die Union hat sich seit der letzten Bundestagswahl von der Mitte weg bewegt. Damals haben die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, CSU-Chef Edmund Stoiber und ich gemeinsam das Projekt der Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft ausgerufen. Davon hat sich die Union komplett verabschiedet und die FDP zieht daraus die Konsequenzen. Wir bleiben in der Mitte.

Frage: Ist das ein Kurswechsel?
WESTERWELLE: Es unterstreicht unsere Eigenständigkeit. Koalitionsaussagen müssen künftig gegenseitig sein. Wir sind gut beraten, unseren Kurs nicht an anderen Parteien auszurichten. Wir können uns grundsätzlich nur auf uns selber verlassen.

Frage: Ist dies nicht eher eine Taktik, damit die Union zur FDP steht?
WESTERWELLE: Es ist eine Strategie der Eigenständigkeit. Wir sagen, was wir wollen: eine bürgerliche Mehrheit, ohne andere Varianten kategorisch auszuschließen, wenn es nicht reicht. Wir wollen mit einer bürgerlichen Mehrheit die Mittelschicht in Deutschland stärken. Gleichzeitig wollen wir ein rot-rot-grünes Bündnis verhindern. Deshalb müssen wir uns auch auf eine Situation einstellen, bei der unser Ziel vielleicht nicht aufgeht, eine Zweier-Koalition zu bilden.

Frage: Sie werfen der Union, der SPD und den Grünen einen Linksruck vor. Wird es für die FDP nicht immer schwieriger, einen Partner zu finden?
WESTERWELLE: Das ist sicherlich nicht leichter geworden, nachdem Friedrich Merz an der Union verzweifelt, Wolfgang Clement an der SPD und Oswald Metzger sich von den Grünen verabschiedet hat.

Frage: Muss sich die FDP verändern?
WESTERWELLE: Nein. Wir bleiben bei unserem Weg, den wir nicht aus taktischen Gründen beschlossen haben, sondern aus Überzeugung. Es gibt nur zwei Parteien, die bei den Wahlen seit 2005 insgesamt Erfolge hatten: die FDP und die Linkspartei. Das liegt bei aller Gegensätzlichkeit daran, dass beide Parteien in ihren Aussagen klar sind. Die Wischi-Waschi-Parteien haben dagegen verloren. Die FDP bleibt dabei: Nur mit einer Reform der sozialen Marktwirtschaft kann der Wohlstand in Deutschland erhalten werden. Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer und die Mittelschicht droht abzurutschen. Darum muss man sich sorgen.

Frage: Wie wollen Sie das Programm durchsetzen, wenn die übrigen Parteien andere Wege gehen?
WESTERWELLE: Je mehr wir wachsen, umso mehr Einfluss können wir auf die anderen Parteien ausüben.

Frage: Sie hatten gute Wahlergebnisse. Trotzdem reichte es nicht, weil die Union im Bund und in Hessen so schwach war...
WESTERWELLE: Niedersachsen hat gezeigt: Wenn Union und FDP gemeinsam auf eine Koalition setzen, dann können auch im Fünfparteiensystem klare Mehrheiten zustande kommen. Der Kurs von Christian Wulff sollte der Kurs der Bundes-CDU werden und nicht das Irrlichtern.

Frage: Sehen Sie programmatisch noch Änderungsbedarf?
WESTERWELLE: Die Bildungspolitik müssen wir noch stärker betonen. Es gibt in keinem vergleichbaren Industrieland einen so verheerenden Zusammenhang zwischen Herkunft und Bildungschancen. Die Linke – damit meine ich SPD, Grüne und Linkspartei – setzt auf die Einheitsschule. Sie schert alle über einen Kamm und vergisst dabei, dass Menschen unterschiedlich begabt sind und wir deshalb ein maßgeschneidertes Bildungssystem für die Schüler brauchen. Die Konservativen vertreten eine Bildungspolitik, die einen sozialen Aufstieg nicht ermöglicht. Die FDP will ein durchlässiges Bildungssystem, das Chancengleichheit bietet. Alle jungen Menschen müssen die Möglichkeit erhalten, sich von ganz unten noch ganz oben vorzuarbeiten.

Frage: Wie?
WESTERWELLE: Das Ganztagsangebot muss ausgebaut werden. Zudem muss der Sprung von der Hauptschule zur Realschule und von dort zum Gymnasium stärker als bislang erleichtert und gefördert werden. Es ist ein Segen, wenn man als Schüler dabei Hilfe bekommt und nicht nur Gleichgültigkeit erfährt. Das weiß ich als früherer Realschüler aus ganz persönlicher Erfahrung.

Dienstag, 11. März 2008

Mandatsträger, Gewissensfreiheit und Koalitionen

Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der „Neuen Presse, Hannover“ (11.3.2008) das folgende Interview. Die Fragen stellte ANDREAS HERHOLZ:

Frage: Rückkehr von Kurt Beck auf die bundespolitische Bühne. Hat Sie der Auftritt des SPD-Chefs zur Krisenbewältigung überzeugt?
WESTERWELLE: Das war viel Lärm um zu wenig. Den Wählerinnen und Wählern ist noch immer nicht klar, ob die SPD jetzt noch weiter nach links rücken oder in die Mitte zurückkehren will. Jeder SPD-Wähler muss damit rechnen, dass seine Stimme in einem Bündnis mit Grünen und Linkspartei landet.

Frage: Ausgerechnet in dieser Lage will die FDP nun künftig auch Koalitionen mit SPD und Grünen nicht mehr ausschließen. Wird Ihre Partei wieder zur Umfallerpartei?
WESTERWELLE: Derzeit gibt es keine ausreichende inhaltliche Basis für eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen. Es bleibt abzuwarten, ob in der SPD eher die Steinmeiers oder die Wowereits künftig das Sagen bekommen. Unsere Schnittmengen mit der Union sind immer noch am größten. Aber die FDP muss leider feststellen, dass CDU und CSU immer beliebiger werden und um jeden Preis regieren wollen - egal mit welchem faulen Kompromiss und mit welchem Partner. Der Linksrutsch hat auch die Union erfasst. Das wird beim geplanten Gesundheitsfonds und den staatlich festgelegten Mindestlöhnen deutlich. Die FDP setzt auch in Zukunft auf Zweierbündnisse. Die Gemeinsamkeiten von Union und FDP sind zur Zeit immer noch am größten.

Frage: Es ist nicht lange her, da haben Sie auf ihrem Parteitag die Parole 'Freiheit statt Sozialismus' ausgegeben und einen Lagerwahlkampf angekündigt.
WESTERWELLE: Gegen den Sozialismus werde ich auch weiter mit scharfen Worten zu Felde ziehen. Die Sozialisten haben immer erst die Unternehmen verstaatlicht und dann das Denken. Totalitären Vorstellungen werden wir uns immer mit aller Kraft entgegenstellen, ganz gleich, ob sie von links oder rechts kommen. Die FDP gehört keinem Lager an und wird deshalb auch keinen Lagerwahlkampf führen. Wir werden künftig noch stärker unser eigenes Programm der Freiheit in den Vordergrund stellen. Herr Merz verzweifelt an der Union, Herr Clement an der SPD und die bürgerlichen Grünen wie Herr Metzger treten aus ihrer Partei aus. Wir sind die letzte Partei der Mitte.

Frage: In Hessen könnte die FDP mit einem Ja zur Ampelkoalition das politische Patt auflösen und wieder für Handlungsfähigkeit sorgen.
WESTERWELLE: Hessens SPD-Spitzenkandidatin Ypsilanti und ihr Programm ist doch sogar den bürgerlichen Sozialdemokraten zu links. Da ist mit uns nichts zu machen.

Frage: Aus Ihren eigenen Reihen gibt es Kritik daran, dass die FDP zu sehr auf das Thema Steuern fixiert sei und es zu wenig Emotionalität gebe. Gibt es hier Handlungsbedarf?
WESTERWELLE: Die FDP ist früher einmal mit dem Slogan Vorfahrt für Vernunft angetreten. Das ist natürlich weniger gefühlvoll als 'Kinder, Küche, Kirche' oder 'Mein Herz schlägt links'. Uns ist eine Politik der sozialen Ergebnisse wichtiger als eine Politik der sozialen Absichten. Natürlich können wir unser Ziel, als Partei für das ganze Volk Wohlstand für alle zu erreichen, noch besser herausstellen.

Frage: In Hessen hat sich die SPD-Landtagsabgeordnete Dagmar Metzger bei ihrem Nein zum Linksbündnis auf ihr Gewissen berufen. Jetzt klagt sie über Druck und Anfeindungen und wird gedrängt ihr Mandat niederzulegen. Wird die Gewissensfreiheit des Mandatsträgers nicht mehr respektiert?
WESTERWELLE: Dieses Mobbing gegen Frau Metzger in Hessen ist geradezu verfassungswidrig. Jeder Abgeordnete ist frei gewählt und nur seinem Gewissen und nicht der Parteizentrale verpflichtet. Ich hoffe sehr, dass sich die Parlamentspräsidenten mit ihrer ganzen Autorität in dieser Frage rasch und deutlich zu Wort melden.

Frage: SPD-Chef Beck hat bei seinem Auftritt vor der Berliner Presse den Vorwurf des Wortbruchs zurückgewiesen und ein Bündnis mit der Linkspartei auf Bundesebene ausgeschlossen. Klingt das für Sie glaubwürdig?
WESTERWELLE: Was in Hessen stattgefunden hat, war kalkulierter Wortbruch. Er ist nicht an der Einsicht der SPD-Spitzen in Wiesbaden und Berlin gescheitert, sondern an der Aufrichtigkeit einer einsamen Sozialdemokratin. So wie die SPD in Hessen ihre Wahlversprechen vergessen hat, so würde sie auch 2009 mit eleganten Sätzen erklären, warum es nach der Bundestagswahl zu einer rot-rot-grünen Regierung kommen muss, wenn es die Wähler zulassen. Die FDP wird alles daran setzen, dass die Sozialisten und Kommunisten in Deutschland nicht an die Macht kommen.

Montag, 10. März 2008

Öffnung zur SPD und Enttäuschung über Angela Merkel

Berlin. Der FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem „SPIEGEL“ (Ausgabe 11/2008) das folgende Interview. Die Fragen stellten PETRA BORNHÖFT und MARKUS FELDENKIRCHEN:

Frage: Herr Westerwelle, was war die größte Enttäuschung in Ihrem Leben?
WESTERWELLE: Die Monate vor der Bundestagswahl 2002.

Frage: Weshalb?
WESTERWELLE: Ich habe damals geglaubt, dass wir alle gemeinsam für den Erfolg der FDP kämpften. Doch ich hatte mich getäuscht.

Frage: Jürgen Möllemann?
WESTERWELLE: Es war eine Tragödie.

Frage: Kann man besser mit Enttäuschungen umgehen, wenn man oft enttäuscht wurde?
WESTERWELLE: Vermutlich ja. Ich bin dadurch härter geworden.

Frage: Inwiefern?
WESTERWELLE: Ich habe gelernt, politische Freundschaften etwas distanzierter und weniger als gefühlige Angelegenheit zu begreifen.

Frage: Ihre politische Freundin Bundeskanzlerin Angela Merkel will jetzt in Hamburg mit ihrem Erzfeind, den Grünen, koalieren. Wie enttäuschend ist das denn?
WESTERWELLE: In Wahrheit setzt Hamburg doch nur einen Schlusspunkt unter eine Entwicklung: Die Union verabschiedet sich vom schwarz-gelben Projekt der Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft, das Frau Merkel, Herr Stoiber und ich gemeinsam vor der Bundestagswahl 2005 ausgerufen hatten.

Frage: Man könnte sagen: Sie haben sich auseinander gelebt.
WESTERWELLE: Die Union hat sich extrem verändert, da ist kaum etwas übrig geblieben vom alten Kern nach zweieinhalb Jahren Schwarz-Rot. Die Union von heute macht sogar die Schmalspur-Agenda 2010 von Gerhard Schröder wieder rückgängig. Sie beschließt vom Gesundheitsfonds bis zur staatlichen Lohnfestsetzung alles, was sie früher in die Kiste des roten Teufels gestopft hätte.

Frage: Sie haben neulich gesagt, die Union gehe bis an die Grenze der Selbstverleugnung.
WESTERWELLE: Der Union ist inhaltlich nichts mehr wirklich wichtig, sie ist eine Partei größter Beliebigkeit geworden.

Frage: Was, glauben Sie, leitet Angela Merkel. Was ist ihr Ziel?
WESTERWELLE: Die Union will regieren, um jeden Preis, mit jedem faulen Kompromiss und egal mit welchem Partner.

Frage: Ist Angela Merkel eine Reformpolitikerin?
WESTERWELLE: Jedenfalls ist der Leipziger CDU-Parteitag, bei dem Angela Merkel ein feuriges Plädoyer für überfällige Reformen in Deutschland hielt, ein Konvent aus prähistorischer Zeit.

Frage: Sagen Sie der Bundeskanzlerin so etwas auch persönlich?
WESTERWELLE: Persönliche Gespräche sind vertraulich. Aber ich denke, sie weiß, dass ich es für einen schweren Fehler halte, die Union links von der Mitte zu positionieren. Die Union befördert damit einen Linksrutsch, der verheerend ist für unser Land.

Frage: Übertreiben Sie jetzt nicht?
WESTERWELLE: Kein Stück. Dass Frau Merkel und die Union ein Zusammengehen von SPD und Linkspartei in Hessen ohne Konsequenzen für den Bund einfach so durchwinken wollten, spricht Bände. In Hessen ist diese Linksfront erst geleugnet, dann angegangen worden und jetzt geplatzt. Aber nicht wegen innerer Einsicht oder weil die Union im Bund mit Konsequenzen gedroht hätte, sondern weil eine einzelne aufrechte Sozialdemokratin den Wortbruch nicht mitmachen wollte. Es bleibt die Tatsache, dass Kurt Beck grünes Licht für solche Bündnisse gegeben hat - mit Zustimmung aller Gremien der SPD. Und es bleibt die Tatsache, dass die Union auch das geschluckt hat.

Frage: Wollen Sie im nächsten Wahlkampf erneut auf Schwarz-Gelb setzen und damit scheitern wie zuletzt bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg?
WESTERWELLE: In Hamburg war Schwarz-Gelb zum Greifen nah. Aber die Union hat leider von Anfang an auf Schwarz-Grün gesetzt.

Frage: Jetzt klingen Sie nicht nur enttäuscht, sondern geradezu beleidigt.
WESTERWELLE: Ich bin nicht beleidigt, ich habe ja keine romantische Beziehung zur Union oder zu Angela Merkel. Ich stelle nur nüchtern fest, dass die Union sich mit inhaltlicher Beliebigkeit eine weitere Machtoption erarbeitet und sich dafür vom Reformkurs verabschiedet.

Frage: 26 Jahre lang hat die FDP sich der Union in Treue fest verbunden gefühlt. Ist das jetzt ein tiefer gehender Bruch?
WESTERWELLE: Es ist zumindest der Anlass für strategische Fragen. Wir dürfen uns nur noch auf eines verlassen: auf uns selbst. Wir müssen mit unserem freiheitlichen Programm als Kompass so groß werden wie möglich. Bündnisfragen kommen dann an zweiter Stelle. Wir werden eigenständige Wahlkämpfe führen.

Frage: Ihre drei Stellvertreter in der FDP wollen künftig entweder gar keine Koalitionsaussage mehr oder bestenfalls eine Präferenz etwa zugunsten der Union. Was meint der Parteivorsitzende?
WESTERWELLE: Ich halte Koalitionsaussagen unverändert für hilfreich für den Wähler. Aber wir sollten Koalitionsaussagen künftig nur auf Gegenseitigkeit beschließen.

Frage: Ihr Wunschpartner müsste sich dann also auch zur FDP bekennen?
WESTERWELLE: Genauso ist es.

Frage: Werden Sie noch einmal eine Koalition mit einer der demokratischen Parteien so strikt ausschließen, wie es in Hessen und Hamburg der Fall war?
WESTERWELLE: Wir halten in Hessen Wort. Das Programm von Frau Ypsilanti ist ja schon den bürgerlichen Sozialdemokraten zu weit links. Ansonsten sehe ich keine Notwendigkeit für Ausschlussklauseln – außer gegenüber Links- oder Rechtsaußen.

Frage: Sie würden also eine Ampelkoalition, ein Regierungsbündnis mit SPD und Grünen, nicht mehr definitiv ablehnen, wie Sie es noch 2005 getan haben?
WESTERWELLE: Die SPD wird nicht schöner, nur weil die Union hässlicher wird. Die Schnittmengen mit der Union schrumpfen, sind aber immer noch größer als mit anderen Parteien.

Frage: Nochmal: Sie schließen eine Ampel also nicht mehr grundsätzlich aus?
WESTERWELLE: Bei der SPD tanzt momentan der Bär, und bei den Grünen ist die Entwicklung so offen wie der Atlantik. Derzeit sehe ich keine inhaltliche Basis für Ampel-Überlegungen. Grundsätzlich gilt: Wenn sich andere Parteien von der Mitte entfernen, rennen wir nicht hinterher, und wenn sich andere Parteien uns annähern, laufen wir nicht davon.
Frage: Als Kurt Beck vor zwei Jahren SPD-Parteivorsitzender wurde, haben Sie ihn als modernen, reformwilligen Sozialdemokraten begrüßt.
WESTERWELLE: Ich hätte mir nie vorstellen können, dass jener Kurt Beck, der 13 Jahre lang mit der FDP erfolgreich in Rheinland-Pfalz regiert hat, die SPD derart rasant nach links führt. Ich habe immer gedacht, Herr Steinmeier sei eher der Wankelmütige, ganz wie sein Lehrherr Gerhard Schröder. Da muss ich Abbitte leisten. Mea culpa, Herr Steinmeier.

Frage: Dann haben Sie sich ja in beiden Vorsitzenden der Volksparteien getäuscht. Die eine ist nicht Reformkanzlerin geworden, der andere kein moderner Sozialdemokrat.
WESTERWELLE: Wie gut, dass ich mich in der FDP nicht geirrt habe. SPD und Union beklagen eine Gerechtigkeitslücke im Land. Dabei haben sie die erst selbst geschaffen mit ihren maßlosen Steuer- und Abgabenerhöhungen. Wenn Schwarz-Rot den Bürgern vom Aufschwung etwas gelassen hätte, hätten wir jetzt weniger Verunsicherung und weniger Linkspartei. Wenn wir mitregieren, wird die Entlastung der Bürger, gerade der bürgerlichen Mitte, das wichtigste Projekt.

Frage: Dazu müssten Sie erst mal Ihre Programmatik auf die Höhe der Zeit bringen. Ihr aktuelles Entlastungsprogramm, eine Steuerreform, sollte mit Subventionen finanziert werden, die längst gestrichen sind.
WESTERWELLE: Beim Parteitag Ende Mai werden wir eine bezahlbare Steuerreform aus einem Guss beschließen, die ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem bringt. Leistungsgerechtigkeit ist die Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit.

Frage: Wir haben den Eindruck, dass die FDP etwas denkfaul geworden ist, seit Sie Parteivorsitzender sind. Warum diskutieren Sie in der Fraktion lieber über die Abschaffung der Winterzeit statt innerparteiliche Kontroversen zu klären?
WESTERWELLE: Sie irren, die werden geklärt. Zum Beispiel haben wir die Bürgerrechtspolitik wieder in die erste Reihe gerückt, nachdem wir sie zu lange vernachlässigt haben. Unser neues Programm zur Umweltpolitik ist herausragend. Und Forschung, Wissenschaft und Bildung stehen bei uns im Mittelpunkt.

Frage: Sie haben das älteste Programm aller Parteien. Es gibt darin keine Antworten auf die Globalisierung, keine auf den internationalen Terrorismus und keine auf den Klimawandel.
WESTERWELLE: Einspruch. Die „Wiesbadener Grundsätze“ mit dem Prinzip Freiheit zur Verantwortung sind die geistige Grundlage unserer Arbeit. Trotzdem müssen wir immer wieder an uns arbeiten, um die Menschen für uns zu gewinnen.

Frage: Könnte es sein, dass die Leute vielleicht die FDP ganz gut finden, den Westerwelle aber satt haben?
WESTERWELLE: Sicher wird es einige geben, die mich und meine Art überhaupt nicht abkönnen. Natürlich habe ich in der Opposition auch eine gewisse Leidenschaft zur Polarisierung und für die Abteilung Attacke.

Frage: Über die Grünen haben Sie mal gesagt, sie sei die „Schutzpartei der Feldhamster und Windrädchen“. Gewerkschaftsfunktionäre wurden bei Ihnen zur „wahren Plage dieses Landes.“ Warum müssen Sie immer so schrill sein?
WESTERWELLE: Man nannte mich wiederum „neoliberaler Staatsfeind“ oder „Ellbogen-Turbokapitalist“ oder „Schutzheiliger der Steuerhinterzieher“. Ich bin mit drei Brüdern groß geworden, meine Großmutter hat immer gesagt: Ein Hahn, der sich immer bückt, wird auch immer gebissen.

Frage: Aber dadurch wirken Sie immer etwas zu laut, etwas zu forsch.
WESTERWELLE: Einigen bin ich zu temperamentvoll. Andere sind mir persönlich – entschuldigen Sie – zu lahmarschig. Manchmal finden mich Leute zu forsch, denen ich umgekehrt eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Schlaftablette nicht abstreiten kann. So ist das eben.

Frage: Stört es Sie nicht, dass Ihre Sympathiewerte „stabil bei null“ liegen, wie die Forschungsgruppe Wahlen misst.
WESTERWELLE: Bei Ihren eigenen SPIEGEL-Umfragen bin ich im gesunden Mittelfeld. Ich muss nicht von jedem geliebt werden. Das sehen die Wähler wohl auch so. Denn die Wahlergebnisse der FDP sind in meiner Zeit als Vorsitzender insgesamt hervorragend.

Frage: Ein positiveres Image hat noch keinem Politiker geschadet.
WESTERWELLE: Schauen Sie, Ich habe ja schon von meinem Tiefpunkt im Jahr 2002 erzählt. Damals habe ich mich davon verabschiedet, mir weiter über mein Image Gedanken zu machen.

Frage: Das glauben wir nicht.
WESTERWELLE: Dann lassen Sie´s halt. Ich bemühe mich, gute Arbeit zu leisten. Ich bemühe mich, meine Schwächen im Zaum zu halten. Aber von einer Imageplanung, wie man sie vielleicht in jungen Jahren mit im Kopf hat, habe ich mich völlig verabschiedet.

Frage: Was sind denn die schlechten Eigenschaften, an denen Sie arbeiten?
WESTERWELLE: Dass ich gelegentlich zu frech bin, zum Beispiel. Es gibt Situationen, da weiß ich selbst, dass ich mir besser mal auf die Zunge gebissen hätte, statt es rauszulassen. Aber eigentlich ist es müßig, darüber nachzudenken. Irgendwann im Leben kommt das gelassene Einverständnis mit dem eigenen Charakter. Vermutlich mit Mitte 40.

Frage: Sie sind jetzt 46.
WESTERWELLE: Ich bin mit mir im Reinen. So, wie es ist, ist es gut. Ich stelle innerlich fest, dass auch für mich die Phase einer gewissen Findung vorbei ist. In den 90er-Jahren als Generalsekretär und auch noch zu Beginn als Parteivorsitzender habe ich mir viel zu oft Gedanken darüber gemacht, wie ich wirke. Seit ich damit aufgehört habe, habe ich viele Gegner, aber offensichtlich auch Millionen Freunde.

Frage: War das jetzt Ironie?
WESTERWELLE: Niemals - vermutlich nur etwas schrill.

Frage: Was hat Ihrem Image eigentlich mehr geschadet, Ihr Bündnis mit Jürgen Möllemann oder Ihr Guidomobil?
WESTERWELLE: Das Guidomobil hat überhaupt nicht geschadet.

Frage: Das war das Symbol eines Spaß-Politikers.
WESTERWELLE: Hätten Union und FDP damals bei der Wahl ein paar tausend Stimmen mehr gehabt, würden wir regieren. Dann würden heute alle sagen: Ein Geniestreich der deutschen Wahlkampfführung.

Frage: Wo stehen eigentlich Ihre 18-Prozent-Schuhe?
WESTERWELLE: Die stehen im Museum. Aber ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass es seit dem Guidomobil und den 18-Prozent-Schuhen einen neuen Bundestagswahlkampf gegeben hat, und bei dem habe ich als Spitzenkandidat mit unserem Team eines der besten Ergebnisse in der Geschichte der FDP nach Hause bringen dürfen.

Frage: Aber Sie haben Ihre Partei nie in die Regierung gebracht. Sie haben neulich mit Blick auf 2009 gesagt: Jeder Vorsitzende haftet für das Ergebnis seiner Partei bei der Wahl. Treten Sie zurück, wenn die FDP dann wieder nicht mitregieren darf?
WESTERWELLE: Ich mache mein Schicksal nicht davon abhängig, ob die anderen ihre Arbeit machen oder vergeigen. Für die Fehlentscheidungen der Union vor der Bundestagswahl 2005 kann ich nichts; ich trage Verantwortung für das Ergebnis der FDP.

Frage: Also würden Sie nach der Wahl 2009 auch noch mal vier weitere Jahre in die Opposition gehen?
WESTERWELLE: Wenn es – Gott bewahre – eine rot-rot-grüne Regierung im Bund gäbe, kann ich mir persönlich nicht vorstellen, dass ich mich in ein Häuschen im Grünen zurückziehe.

Frage: Das wäre ihnen zu lahmarschig, oder?
WESTERWELLE: Stimmt.

Freitag, 7. März 2008

Hessen: Ich hoffe auf Aufstand der Anständigen

Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE erklärte heute zur Verschiebung der rot-grünen Koalitionsverhandlungen in Hessen:

„Ich hoffe auf einen Aufstand der Anständigen in der SPD, die diesen Wortbruch von Herrn Beck und von Frau Ypsilanti nicht durchwinken wollen. Wenn die Grünen jetzt offiziell in Hamburg mit der Union Koalitionsverhandlungen führen, können sie in Hessen Gespräche mit der Union und der FDP nicht länger verweigern.“

Dienstag, 4. März 2008

Zu aktuellen politischen Themen

BERLIN. Zu den aktuellen politischen Fragen des heutigen Tages erklärte der FDP-Fraktions- und Parteivorsitzende Guido WESTERWELLE vor Medienvertretern wörtlich:

Zu Studien, wonach der Aufschwung bei den Menschen nicht ankommt:
Die heutigen veröffentlichten Zahlen zeigen, der Aufschwung wird vorbei sein, bevor er bei den Bürgern ankam und das liegt an einer maßlosen Steuer- und Abgabenerhöhungspolitik der Bundesregierung. Die schwarz-rote Bundesregierung hat den Bürgern nicht die Früchte ihrer Leistung gelassen. Die einzigen, die durch diesen Aufschwung etwas abbekamen, waren die Staatsfinanzen - auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger. Weil der Staat nicht sparen will, mussten die Einnahmen des Staates steigen, wurden die Steuern erhöht, das ist unsozial. Die wahre soziale Frage ist die Nettofrage in Deutschland. Wir wollen, dass der Aufschwung bei den Bürgerinnen und Bürgern endlich ankommt und das heißt, dass ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem notwendig ist. Das wird die erste Maßnahme sein, die wir ergreifen, wenn wir Regierungsverantwortung übertragen bekommen.

Zur Lage von Schwarz-Rot:
Die so genannte Große Koalition hat ihre Handlungsfähigkeit eingebüßt und das Handeln längst eingestellt. Das was wir hier erleben, das, was wir jetzt erleben, sind die letzten Zuckungen einer scheidenden Regierung. Schwarz-Rot ist vorbei. Es ist Geschichte. Auch wenn die es noch nicht wissen.

Zur politischen Lage in Hessen:
Seit heute ist die Katze aus dem Sack. Jeder kann sehen, dass die SPD in Hessen eindeutig eine linke Mehrheit mit den Kommunisten und Sozialisten bilden will. Diese ganzen Ablenkungsmanöver über Ampelkoalition und anderes werden ja am heutigen Tage entlarvt. Die SPD will mit Grünen und Linkspartei eine Regierung bilden. Das wollte sie von Anfang an und dafür können wir nicht die Kulisse schieben als FDP.
In Hessen hat die CDU mehr Stimmen als die SPD. Die FDP hat weit mehr Stimmen als die grüne Partei. Also haben doch die Parteien der bürgerlichen Mitte einen Regierungsauftrag und nicht Rot-Grün. Frau Ypsilanti hat die Wahl nicht gewonnen, auch wenn sie sich so fühlt. Die bürgerliche Mitte hat einen Regierungsbildungsauftrag und wenn die Grünen in Hamburg mit der CDU reden, dann haben sie doch überhaupt gar keinen Grund, in Hessen Gespräche mit CDU und FDP zu verweigern. Das ist ein durchsichtiges Manöver. Die Sozialdemokraten wollen mit den Grünen und den Kommunisten eine Regierung bilden. Das ist ein klarer Wortbruch. Ich bedaure es, dass es dazu kommt. Aber es zeigt eben auch, was die wahren Absichten der Sozialdemokraten waren und deswegen ist es auch richtig, dass die hessische FDP sich nicht dafür bereitstellt, auch noch die Bühne zu zimmern, auf dem dieses rot-rot-grüne Stück dann aufgespielt wird.