Montag, 10. März 2008

Öffnung zur SPD und Enttäuschung über Angela Merkel

Berlin. Der FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem „SPIEGEL“ (Ausgabe 11/2008) das folgende Interview. Die Fragen stellten PETRA BORNHÖFT und MARKUS FELDENKIRCHEN:

Frage: Herr Westerwelle, was war die größte Enttäuschung in Ihrem Leben?
WESTERWELLE: Die Monate vor der Bundestagswahl 2002.

Frage: Weshalb?
WESTERWELLE: Ich habe damals geglaubt, dass wir alle gemeinsam für den Erfolg der FDP kämpften. Doch ich hatte mich getäuscht.

Frage: Jürgen Möllemann?
WESTERWELLE: Es war eine Tragödie.

Frage: Kann man besser mit Enttäuschungen umgehen, wenn man oft enttäuscht wurde?
WESTERWELLE: Vermutlich ja. Ich bin dadurch härter geworden.

Frage: Inwiefern?
WESTERWELLE: Ich habe gelernt, politische Freundschaften etwas distanzierter und weniger als gefühlige Angelegenheit zu begreifen.

Frage: Ihre politische Freundin Bundeskanzlerin Angela Merkel will jetzt in Hamburg mit ihrem Erzfeind, den Grünen, koalieren. Wie enttäuschend ist das denn?
WESTERWELLE: In Wahrheit setzt Hamburg doch nur einen Schlusspunkt unter eine Entwicklung: Die Union verabschiedet sich vom schwarz-gelben Projekt der Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft, das Frau Merkel, Herr Stoiber und ich gemeinsam vor der Bundestagswahl 2005 ausgerufen hatten.

Frage: Man könnte sagen: Sie haben sich auseinander gelebt.
WESTERWELLE: Die Union hat sich extrem verändert, da ist kaum etwas übrig geblieben vom alten Kern nach zweieinhalb Jahren Schwarz-Rot. Die Union von heute macht sogar die Schmalspur-Agenda 2010 von Gerhard Schröder wieder rückgängig. Sie beschließt vom Gesundheitsfonds bis zur staatlichen Lohnfestsetzung alles, was sie früher in die Kiste des roten Teufels gestopft hätte.

Frage: Sie haben neulich gesagt, die Union gehe bis an die Grenze der Selbstverleugnung.
WESTERWELLE: Der Union ist inhaltlich nichts mehr wirklich wichtig, sie ist eine Partei größter Beliebigkeit geworden.

Frage: Was, glauben Sie, leitet Angela Merkel. Was ist ihr Ziel?
WESTERWELLE: Die Union will regieren, um jeden Preis, mit jedem faulen Kompromiss und egal mit welchem Partner.

Frage: Ist Angela Merkel eine Reformpolitikerin?
WESTERWELLE: Jedenfalls ist der Leipziger CDU-Parteitag, bei dem Angela Merkel ein feuriges Plädoyer für überfällige Reformen in Deutschland hielt, ein Konvent aus prähistorischer Zeit.

Frage: Sagen Sie der Bundeskanzlerin so etwas auch persönlich?
WESTERWELLE: Persönliche Gespräche sind vertraulich. Aber ich denke, sie weiß, dass ich es für einen schweren Fehler halte, die Union links von der Mitte zu positionieren. Die Union befördert damit einen Linksrutsch, der verheerend ist für unser Land.

Frage: Übertreiben Sie jetzt nicht?
WESTERWELLE: Kein Stück. Dass Frau Merkel und die Union ein Zusammengehen von SPD und Linkspartei in Hessen ohne Konsequenzen für den Bund einfach so durchwinken wollten, spricht Bände. In Hessen ist diese Linksfront erst geleugnet, dann angegangen worden und jetzt geplatzt. Aber nicht wegen innerer Einsicht oder weil die Union im Bund mit Konsequenzen gedroht hätte, sondern weil eine einzelne aufrechte Sozialdemokratin den Wortbruch nicht mitmachen wollte. Es bleibt die Tatsache, dass Kurt Beck grünes Licht für solche Bündnisse gegeben hat - mit Zustimmung aller Gremien der SPD. Und es bleibt die Tatsache, dass die Union auch das geschluckt hat.

Frage: Wollen Sie im nächsten Wahlkampf erneut auf Schwarz-Gelb setzen und damit scheitern wie zuletzt bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg?
WESTERWELLE: In Hamburg war Schwarz-Gelb zum Greifen nah. Aber die Union hat leider von Anfang an auf Schwarz-Grün gesetzt.

Frage: Jetzt klingen Sie nicht nur enttäuscht, sondern geradezu beleidigt.
WESTERWELLE: Ich bin nicht beleidigt, ich habe ja keine romantische Beziehung zur Union oder zu Angela Merkel. Ich stelle nur nüchtern fest, dass die Union sich mit inhaltlicher Beliebigkeit eine weitere Machtoption erarbeitet und sich dafür vom Reformkurs verabschiedet.

Frage: 26 Jahre lang hat die FDP sich der Union in Treue fest verbunden gefühlt. Ist das jetzt ein tiefer gehender Bruch?
WESTERWELLE: Es ist zumindest der Anlass für strategische Fragen. Wir dürfen uns nur noch auf eines verlassen: auf uns selbst. Wir müssen mit unserem freiheitlichen Programm als Kompass so groß werden wie möglich. Bündnisfragen kommen dann an zweiter Stelle. Wir werden eigenständige Wahlkämpfe führen.

Frage: Ihre drei Stellvertreter in der FDP wollen künftig entweder gar keine Koalitionsaussage mehr oder bestenfalls eine Präferenz etwa zugunsten der Union. Was meint der Parteivorsitzende?
WESTERWELLE: Ich halte Koalitionsaussagen unverändert für hilfreich für den Wähler. Aber wir sollten Koalitionsaussagen künftig nur auf Gegenseitigkeit beschließen.

Frage: Ihr Wunschpartner müsste sich dann also auch zur FDP bekennen?
WESTERWELLE: Genauso ist es.

Frage: Werden Sie noch einmal eine Koalition mit einer der demokratischen Parteien so strikt ausschließen, wie es in Hessen und Hamburg der Fall war?
WESTERWELLE: Wir halten in Hessen Wort. Das Programm von Frau Ypsilanti ist ja schon den bürgerlichen Sozialdemokraten zu weit links. Ansonsten sehe ich keine Notwendigkeit für Ausschlussklauseln – außer gegenüber Links- oder Rechtsaußen.

Frage: Sie würden also eine Ampelkoalition, ein Regierungsbündnis mit SPD und Grünen, nicht mehr definitiv ablehnen, wie Sie es noch 2005 getan haben?
WESTERWELLE: Die SPD wird nicht schöner, nur weil die Union hässlicher wird. Die Schnittmengen mit der Union schrumpfen, sind aber immer noch größer als mit anderen Parteien.

Frage: Nochmal: Sie schließen eine Ampel also nicht mehr grundsätzlich aus?
WESTERWELLE: Bei der SPD tanzt momentan der Bär, und bei den Grünen ist die Entwicklung so offen wie der Atlantik. Derzeit sehe ich keine inhaltliche Basis für Ampel-Überlegungen. Grundsätzlich gilt: Wenn sich andere Parteien von der Mitte entfernen, rennen wir nicht hinterher, und wenn sich andere Parteien uns annähern, laufen wir nicht davon.
Frage: Als Kurt Beck vor zwei Jahren SPD-Parteivorsitzender wurde, haben Sie ihn als modernen, reformwilligen Sozialdemokraten begrüßt.
WESTERWELLE: Ich hätte mir nie vorstellen können, dass jener Kurt Beck, der 13 Jahre lang mit der FDP erfolgreich in Rheinland-Pfalz regiert hat, die SPD derart rasant nach links führt. Ich habe immer gedacht, Herr Steinmeier sei eher der Wankelmütige, ganz wie sein Lehrherr Gerhard Schröder. Da muss ich Abbitte leisten. Mea culpa, Herr Steinmeier.

Frage: Dann haben Sie sich ja in beiden Vorsitzenden der Volksparteien getäuscht. Die eine ist nicht Reformkanzlerin geworden, der andere kein moderner Sozialdemokrat.
WESTERWELLE: Wie gut, dass ich mich in der FDP nicht geirrt habe. SPD und Union beklagen eine Gerechtigkeitslücke im Land. Dabei haben sie die erst selbst geschaffen mit ihren maßlosen Steuer- und Abgabenerhöhungen. Wenn Schwarz-Rot den Bürgern vom Aufschwung etwas gelassen hätte, hätten wir jetzt weniger Verunsicherung und weniger Linkspartei. Wenn wir mitregieren, wird die Entlastung der Bürger, gerade der bürgerlichen Mitte, das wichtigste Projekt.

Frage: Dazu müssten Sie erst mal Ihre Programmatik auf die Höhe der Zeit bringen. Ihr aktuelles Entlastungsprogramm, eine Steuerreform, sollte mit Subventionen finanziert werden, die längst gestrichen sind.
WESTERWELLE: Beim Parteitag Ende Mai werden wir eine bezahlbare Steuerreform aus einem Guss beschließen, die ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem bringt. Leistungsgerechtigkeit ist die Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit.

Frage: Wir haben den Eindruck, dass die FDP etwas denkfaul geworden ist, seit Sie Parteivorsitzender sind. Warum diskutieren Sie in der Fraktion lieber über die Abschaffung der Winterzeit statt innerparteiliche Kontroversen zu klären?
WESTERWELLE: Sie irren, die werden geklärt. Zum Beispiel haben wir die Bürgerrechtspolitik wieder in die erste Reihe gerückt, nachdem wir sie zu lange vernachlässigt haben. Unser neues Programm zur Umweltpolitik ist herausragend. Und Forschung, Wissenschaft und Bildung stehen bei uns im Mittelpunkt.

Frage: Sie haben das älteste Programm aller Parteien. Es gibt darin keine Antworten auf die Globalisierung, keine auf den internationalen Terrorismus und keine auf den Klimawandel.
WESTERWELLE: Einspruch. Die „Wiesbadener Grundsätze“ mit dem Prinzip Freiheit zur Verantwortung sind die geistige Grundlage unserer Arbeit. Trotzdem müssen wir immer wieder an uns arbeiten, um die Menschen für uns zu gewinnen.

Frage: Könnte es sein, dass die Leute vielleicht die FDP ganz gut finden, den Westerwelle aber satt haben?
WESTERWELLE: Sicher wird es einige geben, die mich und meine Art überhaupt nicht abkönnen. Natürlich habe ich in der Opposition auch eine gewisse Leidenschaft zur Polarisierung und für die Abteilung Attacke.

Frage: Über die Grünen haben Sie mal gesagt, sie sei die „Schutzpartei der Feldhamster und Windrädchen“. Gewerkschaftsfunktionäre wurden bei Ihnen zur „wahren Plage dieses Landes.“ Warum müssen Sie immer so schrill sein?
WESTERWELLE: Man nannte mich wiederum „neoliberaler Staatsfeind“ oder „Ellbogen-Turbokapitalist“ oder „Schutzheiliger der Steuerhinterzieher“. Ich bin mit drei Brüdern groß geworden, meine Großmutter hat immer gesagt: Ein Hahn, der sich immer bückt, wird auch immer gebissen.

Frage: Aber dadurch wirken Sie immer etwas zu laut, etwas zu forsch.
WESTERWELLE: Einigen bin ich zu temperamentvoll. Andere sind mir persönlich – entschuldigen Sie – zu lahmarschig. Manchmal finden mich Leute zu forsch, denen ich umgekehrt eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Schlaftablette nicht abstreiten kann. So ist das eben.

Frage: Stört es Sie nicht, dass Ihre Sympathiewerte „stabil bei null“ liegen, wie die Forschungsgruppe Wahlen misst.
WESTERWELLE: Bei Ihren eigenen SPIEGEL-Umfragen bin ich im gesunden Mittelfeld. Ich muss nicht von jedem geliebt werden. Das sehen die Wähler wohl auch so. Denn die Wahlergebnisse der FDP sind in meiner Zeit als Vorsitzender insgesamt hervorragend.

Frage: Ein positiveres Image hat noch keinem Politiker geschadet.
WESTERWELLE: Schauen Sie, Ich habe ja schon von meinem Tiefpunkt im Jahr 2002 erzählt. Damals habe ich mich davon verabschiedet, mir weiter über mein Image Gedanken zu machen.

Frage: Das glauben wir nicht.
WESTERWELLE: Dann lassen Sie´s halt. Ich bemühe mich, gute Arbeit zu leisten. Ich bemühe mich, meine Schwächen im Zaum zu halten. Aber von einer Imageplanung, wie man sie vielleicht in jungen Jahren mit im Kopf hat, habe ich mich völlig verabschiedet.

Frage: Was sind denn die schlechten Eigenschaften, an denen Sie arbeiten?
WESTERWELLE: Dass ich gelegentlich zu frech bin, zum Beispiel. Es gibt Situationen, da weiß ich selbst, dass ich mir besser mal auf die Zunge gebissen hätte, statt es rauszulassen. Aber eigentlich ist es müßig, darüber nachzudenken. Irgendwann im Leben kommt das gelassene Einverständnis mit dem eigenen Charakter. Vermutlich mit Mitte 40.

Frage: Sie sind jetzt 46.
WESTERWELLE: Ich bin mit mir im Reinen. So, wie es ist, ist es gut. Ich stelle innerlich fest, dass auch für mich die Phase einer gewissen Findung vorbei ist. In den 90er-Jahren als Generalsekretär und auch noch zu Beginn als Parteivorsitzender habe ich mir viel zu oft Gedanken darüber gemacht, wie ich wirke. Seit ich damit aufgehört habe, habe ich viele Gegner, aber offensichtlich auch Millionen Freunde.

Frage: War das jetzt Ironie?
WESTERWELLE: Niemals - vermutlich nur etwas schrill.

Frage: Was hat Ihrem Image eigentlich mehr geschadet, Ihr Bündnis mit Jürgen Möllemann oder Ihr Guidomobil?
WESTERWELLE: Das Guidomobil hat überhaupt nicht geschadet.

Frage: Das war das Symbol eines Spaß-Politikers.
WESTERWELLE: Hätten Union und FDP damals bei der Wahl ein paar tausend Stimmen mehr gehabt, würden wir regieren. Dann würden heute alle sagen: Ein Geniestreich der deutschen Wahlkampfführung.

Frage: Wo stehen eigentlich Ihre 18-Prozent-Schuhe?
WESTERWELLE: Die stehen im Museum. Aber ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass es seit dem Guidomobil und den 18-Prozent-Schuhen einen neuen Bundestagswahlkampf gegeben hat, und bei dem habe ich als Spitzenkandidat mit unserem Team eines der besten Ergebnisse in der Geschichte der FDP nach Hause bringen dürfen.

Frage: Aber Sie haben Ihre Partei nie in die Regierung gebracht. Sie haben neulich mit Blick auf 2009 gesagt: Jeder Vorsitzende haftet für das Ergebnis seiner Partei bei der Wahl. Treten Sie zurück, wenn die FDP dann wieder nicht mitregieren darf?
WESTERWELLE: Ich mache mein Schicksal nicht davon abhängig, ob die anderen ihre Arbeit machen oder vergeigen. Für die Fehlentscheidungen der Union vor der Bundestagswahl 2005 kann ich nichts; ich trage Verantwortung für das Ergebnis der FDP.

Frage: Also würden Sie nach der Wahl 2009 auch noch mal vier weitere Jahre in die Opposition gehen?
WESTERWELLE: Wenn es – Gott bewahre – eine rot-rot-grüne Regierung im Bund gäbe, kann ich mir persönlich nicht vorstellen, dass ich mich in ein Häuschen im Grünen zurückziehe.

Frage: Das wäre ihnen zu lahmarschig, oder?
WESTERWELLE: Stimmt.

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