Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende
DR. GUIDO WESTERWELLE gab der „
Neuen Presse Hannover“ (11.1.2008) das folgende Interview. Die Fragen stellte
VOLKER GOEBEL:
Frage: Herr Westerwelle, wenn Sie jungen und politisch vielleicht unerfahrenen Wählern kurz erklären sollen, wer und was die FDP ist und wofür sie steht – was sagen Sie?
WESTERWELLE: Wir sind die richtige Partei für Einsteiger, nicht für Aussteiger. Wir setzen uns vor allem für die Zukunftschancen der jungen Generation ein und kümmern uns um Bildung und Ausbildung. Bildung ist der wichtigste Rohstoff, den wir in Deutschland haben. Das Bildungsthema ist für mich das Schicksalsthema der Nation.
Frage: Ex-FDP-Chef Wolfgang Gerhardt hat kürzlich beklagt, die FDP sei vor allem die „One-Man Show“ von Guido Westerwelle und sie würde zu viele Chancen vergeben...
WESTERWELLE: Wir wären nicht die Liberale Partei, wenn wir nicht offen diskutieren würden. Ich sage: Wir sind gut aufgestellt, und wir haben eine gute Mischung der Generationen, gerade hier in Niedersachsen: Der Spitzenkandidat Philipp Rösler ist Mitte 30, er hat mit den Ministern Walter Hirche und Hans-Heinrich Sander erfahrene Politiker an seiner Seite.
Frage: Vielleicht wünscht sich Herr Rösler ja, dass Herr Hirche endlich mal den Ministersessel freimacht, wenn Schwarz-Gelb in Niedersachsen an der Macht bleibt?
WESTERWELLE: Ich sehe im Gegenteil eine sehr vertrauensvolle, erfolgreiche politische Zusammenarbeit bei den beiden.
Frage: Die Kritik von Wolfgang Gerhardt zielte doch auf mangelndes Profil der Liberalen. Sie sagen, die FDP wolle „Anwalt der vergessenen Mitte“ in Deutschland sein. Was bieten Sie denn dieser Mitte?
WESTERWELLE: Keine Partei hat sich so wie die FDP für eine Steuerreform und Steuersenkungen stark gemacht. Die Bundesregierung hat durch die Konjunkturentwicklung 50 Milliarden Euro Einnahmen unerwartet in die Kassen gespült bekommen und macht trotzdem Schulden. Der Aufschwung kommt bei den Bürgern nicht an, und das liegt daran, dass Schwarz-Rot die größte Steuer- und Abgabenerhöhung in der Geschichte der Republik verantwortet. Eine durchschnittliche vierköpfige Familie hat im Jahr 2007 durch die Politik von Schwarz-Rot 1600 Euro weniger in den Taschen gehabt als im Jahr zuvor. Das ist die vergessene Mitte, die ich meine.
Frage: Die Wahlkämpfe in Niedersachsen und Hessen werden überlagert von der Debatte um die Bekämpfung der Jugend- und Ausländerkriminalität. Zu Recht?
WESTERWELLE: Das Thema ist wichtig, und man kann hier schnell zu Lösungen kommen: Erstens: Wer schwer kriminell wird und einen Menschen fast zu Tode tritt, muss vor Gericht gestellt, verurteilt und gegebenenfalls abgeschoben werden. Zweitens: Es darf nicht sein, dass es an Polizisten mangelt und wir eine unterbesetzte Justiz haben. Drittens: Mittel- und langfristig kann man nur durch Bildung und Integration, dabei vor allem durch die Förderung von Sprachkompetenz, verhindern, dass sich das Problem der Jugendkriminalität verschärft.
Frage: Roland Koch signalisiert, dass er das Thema auch in den Bundestagswahlkampf ziehen will, wenn die SPD seinen Forderungen nach schärfen Gesetzen nicht nachgibt. Was sagt die FDP?
WESTERWELLE: Der stellvertretende Vorsitzende der CDU sollte sich weniger Gedanken darüber machen, gegen wen man welches Thema in welchem Wahlkampf ausspielt, sondern mehr darüber, wie man die Probleme tatsächlich löst. Ich habe heute einen Brief an die Vorsitzenden der Regierungsparteien geschrieben und schlage darin vor, dass wir uns zu einem konstruktiven Gespräch über Jugendgewalt zusammensetzen. Sollte es Gesetzeslücken geben, und werden die glaubhaft dargelegt, dann reden wir darüber. Aber das Vollzugsdefizit – zu lange Strafverfahren – ist das eigentliche Problem.
Frage: Sie haben vor kurzem gesagt, in der schwarz-roten Bundesregierung sei Ihnen „zu viel Sozialismus“. Mit wem wollen Sie dann eigentlich noch eine Koalition eingehen?
WESTERWELLE: Wir stehen fest zur sozialen Marktwirtschaft und meinen, dass sich Leistung für die Bürger lohnen muss. Und wir bedauern, dass gerade die CDU davon abgerückt ist. Aber sie ist uns derzeit mit ihren Positionen allemal näher als die SPD mit ihrem demokratischen Sozialismus. Deswegen kämpfen wir bei den Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen für Schwarz-Gelb.
Frage: Ein Blick auf die Tarifrunde: Nicht nur aus der SPD, auch aus der CDU kommt der Ruf nach ordentlichen Lohnerhöhungen. Von der FDP auch?
WESTERWELLE: Ich habe Respekt vor der Tarifautonomie. Wir kämpfen für mehr Netto vom Brutto – dafür, dass dem Bürger vom Staat weniger Geld aus der Tasche genommen wird. Wenn SPD und Union eine Gerechtigkeitslücke beklagen, aber verschweigen, dass sie mit der größten Steuererhöhung in der Geschichte der Republik diese Gerechtigkeitslücke erst selbst mit geschaffen haben, finde ich das nicht glaubwürdig.
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