
Rede des FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzenden am 28. November 2007 vor dem Deutschen Bundestag im Rahmen der Haushaltsdebatte um den Etat der Bundeskanzlerin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, bevor ich Ihre Rede gehört habe, habe ich mir die Freude gemacht, die Rede, die Altbundeskanzler Gerhard Schröder im September des Jahres 2000 gehalten hat, also zwei Jahre nachdem er ins Amt gekommen ist, noch einmal durchzulesen.
(Petra Merkel (Berlin) (SPD): Die war gut!)Die Lage war der jetzigen sehr ähnlich: gute Konjunktur und ordentliche Staatsfinanzen;
(Widerspruch bei der CDU/CSU)durch die Versteigerung der UMTS-Lizenzen kamen zusätzlich 100 Milliarden DM damals gab es noch die D-Mark in die Staatskasse. Herr Schröder hat damals genau so gesprochen, wie Angela Merkel heute im Namen der Regierung spricht und handelt.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)Wenn die Opposition irgendetwas kritisiert, dann redet sie, so die Bundeskanzlerin, das Land schlecht. Alles muss zur eigenen Ehre und zum eigenen Lob herhalten. Das Selbstlob dieser Koalition hatte auch heute penetrante Züge.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)Es wurde damals so getan, als ginge alles auf ewig so weiter: Die Konsolidierungspolitik hat begonnen! Wir haben sie in die Tat umgesetzt! Das ist eine Politik, die diesen Namen wirklich verdient! - Es wurde aber verschwiegen, welche dunklen Wolken am Horizont aufziehen. Genau das machen Sie heute auch. Sie reden nach zwei Jahren Regierungszeit so, wie Schröder nach zwei Jahren Regierungszeit gesprochen hat. Wenn das Ihr Aufschwung ist, dann das sage ich Ihnen voraus werden Sie auch haften müssen, wenn es in den nächsten Monaten oder Jahren abwärtsgeht.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)Etwas mehr Bescheidenheit
(Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD: Oh!)und vor allen Dingen etwas mehr Anerkennung der Umstände, von denen Ihre Politik derzeit getragen wird, wären richtig und angemessen.
(Beifall bei der FDP - Joachim Poß (SPD): Das ist Ihre Tugend - Bescheidenheit!)Mindestens genauso spannend ist das, worüber Sie nicht gesprochen haben. Sie haben nicht über die Kinderarmut, die sich in Deutschland verdoppelt hat, gesprochen.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sie hat den Kinderzuschlag erwähnt! Sie haben nicht zugehört!)Sie haben nicht über das Handwerk gesprochen, das Umsatzeinbrüche in Höhe von ungefähr 20 Prozent hat. Sie haben nicht über den Rückgang beim Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern um sage und schreibe etwa 43 Prozent gesprochen. Sie haben nicht über die Neuzulassungen im Kfz-Bereich gesprochen, die mittlerweile etwa 8 Prozent unter dem Vorjahresniveau liegen.
Sie haben auch nicht über das gesprochen, was jeden Deutschen bewegt, nämlich die Tatsache, dass wir im November dieses Jahres eine Preissteigerungsrate in Höhe von 3 Prozent haben. Wenn es eine soziale Politik in diesem Lande gibt, dann ist es die, dafür zu sorgen, dass der Euro auch im Inland etwas wert ist und dass man sich dafür etwas kaufen kann. Inflation ist unsozial. Diese 3 Prozent müssten Sorgenfalten auf Ihrer Stirn hinterlassen.
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))Stattdessen schmücken Sie sich hier mit allem, zum Beispiel mit der Weltwirtschaft. Sie schmücken sich auch mit Dingen, die wirklich lange vor Ihrer Zeit erreicht worden sind, beispielsweise mit den Nobelpreisen.
(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Jetzt wird es kleinkariert!)Es war für mich tief beeindruckend, dass sogar die Nobelpreise jetzt herhalten müssen. Sie werden nämlich als Zeugnis dafür angegeben, wie toll der Forschungsstandort Deutschland ist. An die Physikerin im Kanzleramt gerichtet, sage ich: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, den einen Nobelpreise gab es für eine Leistung aus dem Jahr 1988, den anderen für eine Leistung aus dem Jahr 1981. Entschuldigung, da waren Sie noch nicht Bundeskanzlerin; man mag es nicht glauben, aber es ist so. Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie sich mit den Nobelpreisen von heute schmücken, dann ist das ungefähr so, als würde sich die spanische Regierung mit der Entdeckung Amerikas von vor 500 Jahren auszeichnen wollen. Das ist wirklich nur noch albern.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich!)Frau Bundeskanzlerin und meine Damen und Herren von der Koalition es macht ja Freude, Ihre Reaktionen hier zu hören , ich will nun auf das eingehen, was die Redner der Regierungsfraktionen hier gesagt haben. Herr Kollege Ramsauer, weil Sie von Oppositionsfraktiönchen gesprochen haben, wollen wir eines festhalten: In diesem Hohen Hause ist keine Partei kleiner als die CSU.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Peter Struck (SPD) Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Wir reden von Fraktionen, lieber Freund!)Das wollte ich nur einmal an die Adresse des stellvertretenden Fraktiönchenvorsitzenden sagen.
Ich will an das erinnern, was die Damen und Herren der Regierungskoalition uns hier alles erzählt haben. Das hat ja viel Freude gemacht. Sie haben in den ersten zweieinhalb Stunden der Debatte das Hohelied Ihres Erfolges gesungen. Sie haben gesagt, wie großartig und erfolgreich diese Große Koalition, wie Sie sich selbst nennen, war. Dann stellt sich aber für den unbefangenen Beobachter eine entscheidende Frage: Wenn das alles so toll war, warum lesen wir dann jeden Tag in den Zeitungen, dass Sie da raus wollen? Wenn das alles so toll war, warum bezichtigen Sie sich dann gegenseitig des Wortbruchs und aller möglichen weiteren Beschimpfungen, die man als mitteleuropäisch erzogener Mensch hier gar nicht vortragen möchte? Da ist unter der Gürtellinie ausgeteilt worden. So brutal - wie Sie in dieser Regierung - miteinander umzugehen, das würde sich von den Mitgliedern der bescheidenen Opposition niemand wagen. Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, es gibt doch überhaupt gar nichts mehr Gemeinsames.
(Beifall bei der FDP Zuruf des Abg. Dr. Peter Struck (SPD), an den Abg. Volker Kauder (CDU/CSU) gewandt)- Jetzt kommt wieder die Geschichte: Mein Freund Volker.
(Heiterkeit bei der FDP und der LINKEN Volker Kauder (CDU/CSU): Nur kein Neid!)Leute, Leute! Regierung schlägt sich, Regierung verträgt sich. Mit Verlaub gesagt: Das, was ihr hier abliefert, ist eine völlig unglaubwürdige Nummer. Jeder Zuschauer weiß doch: Ihr hasst euch wie die Pest.
(Beifall bei der FDP Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)Hier etwas von großem Frieden und großem Erfolg zu erzählen, ist einfach nur noch albern. Früher haben die Kanzler gerufen: Ich will da rein. Sie rufen mittlerweile: Ich will da raus. Mit Verlaub gesagt: Das ist doch nicht ernst zu nehmen; das ist Kulisse.
(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Aber Sie sind ernst zu nehmen?)Wenn diese Reformpolitik für die Menschen in Deutschland wirklich so erfolgreich war, dann stellt sich doch die Frage: Warum wollen Sie Ihre Reformen in diesen Wochen und Monaten rückabwickeln? Denn das ist das Ergebnis des Beschlusses des SPD-Parteitages und Ihrer Beschlussfassungen im Deutschen Bundestag!
(Beifall bei der FDP - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Nach dieser Rede kann man Sie aber auch nicht mehr ernst nehmen!)Entschuldigen Sie, Herr Kollege Hinsken. Weil Sie gerade dazwischengerufen haben, möchte ich Ihnen ganz offen sagen: Nachdem der sozialdemokratische Bundeskanzler Schröder im Rahmen der Agenda 2010 marktwirtschaftliche Reformen durch den Deutschen Bundestag gebracht hat, hätte ich mir vor zwei Jahren nicht vorstellen können,
(Volker Kauder (CDU/CSU): Dass das mit uns so gut klappt!)dass diese Reformen dann von einer christdemokratisch geführten Bundesregierung
(Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Aber ohne euch!)rückabgewickelt werden. Das ist verkehrte Welt!
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)Herr Hinsken, Ihnen nehme ich ja ab, dass auch Sie das furchtbar finden.
(Heiterkeit bei der FDP)Ihr müsst das aber auch einmal sagen! Mannesmut vor der Königin Throne! Seid ab und zu auch einmal mutig, Jungs!
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)Das, was ihr macht, ist ein Witz.
Lassen Sie uns jetzt einmal über das Sanieren reden; auch das macht Freude. Ihr Motto lautet ja: Sanieren, Reformieren, Investieren.
(Jürgen Koppelin (FDP): Und abkassieren!)Zum Reformieren habe ich bereits gesagt: Die Agenda 2010 wird von Ihnen rückabgewickelt, und das merkt jeder.
Reden wir also über das Sanieren. Sanieren heißt: solide sein. Man saniert etwas, was schlecht läuft. Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, Sie haben bei Übernahme der Regierung ein Defizit von 30 Milliarden Euro vorgefunden. Dann haben Sie 50 Milliarden Euro mehr eingenommen als erwartet. Trotzdem haben Sie immer noch 12 Milliarden Euro Schulden gemacht. Sie können nicht mit Geld umgehen! Darüber müssen wir hier sprechen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)Früher musste man das immer der SPD vorwerfen. Mittlerweile muss man diesen Vorwurf aber auch an die Union richten. Wenn es darum geht, mit Geld umzugehen, dann ist Schwarz ein sehr dunkles Rot;
(Beifall bei der FDP)insofern hat Herr Müntefering recht. Die Union macht es nämlich genauso wie die SPD. Sie machen Schulden in Höhe von 12 Milliarden Euro, obwohl Sie lottogewinnähnliche Mehreinnahmen in Milliardenhöhe zu verzeichnen haben, mit denen kein Mensch gerechnet hat, nicht einmal wir als geborene rheinische Optimisten.
Deutschland muss wissen, dass Sie 12 Milliarden Euro Schulden machen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen erfahren: Der Staat hat Geld wie Heu. Aber er verplempert es zu oft in Bereichen, aus denen er sich lieber heraushalten sollte. Wer trotz der größten Steuererhöhung in der Geschichte dieser Republik immer noch solche Schulden macht, der kann nicht mit Geld umgehen. Das trifft nicht mehr nur auf die Genossen zu, sondern längst auch auf die schwarzen Genossen, die in diesem Hohen Hause sitzen.
(Beifall bei der FDP)Sie sagen immer, unser Sparbuch, das 400 Anträge mit Sparvorschlägen enthält, sei nicht solide, und das alles könnten wir nicht leisten. Deswegen sollten wir einmal über ein paar Dinge reden. Reden wir doch einmal darüber, wofür Sie Geld ausgeben; denn das ist erstaunlich. Ich hätte gerne folgende Frage beantwortet: Wenn Sie wirklich sparen wollen Sie behaupten ja, dass Sie sparen , warum beschließen Sie dann in einer Sitzung des Haushaltsausschusses mal eben und in der Dunkelheit der Nacht, in den Ministerien 74 neue Planstellen zu schaffen, die mit Personen besetzt werden, die nichts anderes als Wahlkampf machen sollen?
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)Außerdem soll es einen dritten Staatssekretär des Auswärtigen Amtes geben. Willy Brandt kam mit zwei Staatssekretären aus, Hans-Dietrich Genscher kam mit zwei Staatssekretären aus, und Joseph Fischer kam mit zwei Staatssekretären aus. Schätzen Sie sich denn um so viel schwächer ein, Herr Außenminister, dass Sie jetzt einen dritten Staatssekretär brauchen? Das ist doch albern!
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)Dann höre ich immer in Anbetracht dieser ganzen Milliardenbeträge das macht mich mittlerweile kirre, und darüber ärgere ich mich auch , das seien ja alles nur kleine Summen. Wenn Sie die Summen mit 400 multiplizieren, kommen Sie auf 12 Milliarden. Eine Summe ergibt sich beispielsweise aus den Kopfstellen. Sie schaffen 74 Stellen neue Stellen. Das kostet die Steuerzahler jedes Jahr 6 Millionen Euro mehr. 6 Millionen Euro jedes Jahr mehr, nur damit Sie sich in den Ministerien mit mehr Personal für den Wahlkampf aufrüsten können.
Wir wollen das einmal übersetzen, meine Damen und Herren. 3 750 Familien müssen ein ganzes Jahr lang arbeiten, um so viel an Einkommensteuer aufzubringen, wie Sie in einer einzigen Haushaltsnacht für Ihre Wahlkämpfe mit der Schaffung von Spitzenstellen in den Ministerien verplempert haben.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN)3 750 Familien arbeiten in Deutschland ab jetzt für Ihre Verplemperung von Steuermitteln für Wahlkampfzwecke. Als ob die Parteien nicht finanziert würden!
Meine Damen und Herren, wir wollen auch einmal über die größeren Beträge reden, beispielsweise über Ihre Schlacht in Minden, Herr Kollege Kampeter. Jeder meint ja, es ginge um Hermann den Cherusker. Das ist ein Treppenwitz. Da werden mal eben 1,5 Millionen Euro nach Minden mit nach Hause gebracht für eine Schlacht, von der bisher kein Mensch irgendetwas gehört hat.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Blödsinn!)Auch wenn Sie dafür zuhause gefeiert werden, Steuergeldverschwendung bleibt es trotzdem. Das wollen wir an dieser Stelle festhalten.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wie ist das eigentlich mit dem Beethovenhaus in Bonn?)- Sie rufen „Beethoven in Bonn“ dazwischen? Wenn Sie den Unterschied zwischen Ludwig van Beethoven und Ihrer Pipi-Schlacht in Minden nicht kennen, dann gehen Sie bitte noch einmal auf die Schule, Herr Kollege.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)Kommen wir zu den größeren Summen, zu den wesentlichen Sachen, weil es ja immer heißt, sie würden sanieren. Nichts sanieren Sie. Ich möchte gerne den Damen und Herren des Deutschen Bundestages und vor allem natürlich auch der geneigten Öffentlichkeit einmal vortragen, wie viel zum Beispiel für einen unserer schärfsten Wettbewerber in der Weltwirtschaft ausgegeben wird.
In der letzten Woche wurde veröffentlicht, dass China uns mittlerweile auf Platz drei der führenden Wirtschaftsnationen in der Welt abgelöst hat. China hat uns als drittstärkste Wirtschaftsnation in der Welt jetzt überholt. China hat Währungsreserven von ungefähr 1 200 Milliarden Euro. Das ist ungefähr so viel wie die gesamten Staatsschulden auf allen Ebenen in Deutschland. Trotzdem zahlen wir jedes Jahr, auch in diesem Jahr wieder, Millionenbeträge an Entwicklungshilfe und weiterer Hilfe nach China. Wir zahlen reine Entwicklungshilfe in Höhe von 67 Millionen Euro, und wenn man alle offiziellen Zahlungen an China zusammenrechnet, zahlen wir insgesamt in diesem Jahr 187 Millionen Euro nur an China.
Meine Damen und Herren, auch das möchte ich einmal übersetzen. Ganz Oldenburg oder ganz Göttingen arbeitet ungefähr ein komplettes Jahr nur dafür, dass wir die Steuermittel bekommen, die wir anschließend nach China schenken. Sie vertreten die Meinung: Das muss so sein. Das ist Ihr gutes Recht; Sie werden das ja auch so beschließen. Wir sagen Ihnen dazu: Ein Land, das solche Währungsreserven hat, ein Land, das uns auf Platz drei der Wirtschaftsnationen in der Welt ablöst, dann auch noch mit deutschen Hilfsgeldern zu unterstützen, das ist einfach Irrsinn gegenüber dem Steuerzahler.
(Beifall bei der FDP)Ganz Osnabrück arbeitet ein ganzes Jahr nur für die Entwicklungshilfe an China. Darüber müssen wir hier reden, das versteckt sich hinter diesen Zahlen.
Meine Damen und Herren, Frau Bundeskanzlerin, wir und auch Sie in der Koalition sprechen viel über Mindestlöhne und über die Rückabwicklung einiger Teile der Agenda 2010. Zu den Mindestlöhnen möchte ich noch eine Bemerkung machen. Herr Kollege Gysi, ich habe Ihnen mit Interesse zugehört. Es ist immer interessant und auch unterhaltsam, Ihnen zuzuhören; das wollen wir gar nicht bestreiten. Ich persönlich glaube aber, dass Sie in einem Punkt in Ihrer Einschätzung einen wirklich massiven Fehler machen. Sie koppeln jedes Mal die soziale Gerechtigkeit unseres Landes von der Leistungsgerechtigkeit ab. Sie spielen soziale Gerechtigkeit und Leistungsgerechtigkeit gegeneinander aus. Wir sagen Ihnen: Wer die Leistungsgerechtigkeit seines Landes vergisst, der wird die soziale Gerechtigkeit seines Landes verlieren. Das wird zwingend die Folge einer solchen Politik sein.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)Ich will Ihnen die Zahlen noch einmal nennen, weil sie auch für unsere Zuschauer wichtig sind: Die oberen 50 Prozent der deutschen Steuerzahler erwirtschaften etwa 94 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens der Republik. Sie belasten diejenigen, die den Karren ziehen, immer mehr. Ich sage Ihnen, wer dabei unter die Räder kommt: die Ärmsten der Armen, die Schwächsten der Schwachen. Die leiden unter Ihrer Politik.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)Ich will noch eine Bemerkung zu den Mindestlöhnen machen, weil ich natürlich ahne, Herr Kollege Struck nicht nur nach Ihrer heutigen Rede, sondern auch nach den Reden von gestern , dass das Ihr tragendes Thema sein wird. Ich glaube, dass diese Diskussion zu kurz gegriffen ist. Erstens einmal finde ich es nicht in Ordnung, dass man, wenn man das Fehlen von Mindestlöhnen kritisiert, verschweigt, dass die niedrigen Tariflöhne im Osten immer unten rechts die Unterschrift einer Gewerkschaft tragen. Das wollen wir festhalten!
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)Immer, wenn wir hier über Dumpinglöhne sprechen, hat ein Genosse der Gewerkschaft unten rechts unterschrieben. Bei der Post ist das so, und auch in den anderen Branchen ist das so. Da ist die Frage doch eine ganz andere, eine ordnungspolitisch fundamentale Frage. Jeder hier ist der Meinung: Wer ordentlich arbeitet, muss davon auch leben können. Ich bin mit Ihnen der Meinung: Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, nachlässige Unternehmer oder schwarze Schafe in der Unternehmerschaft quasi noch dafür zu bezahlen, dass sie sich so schlecht verhalten; darüber sind wir uns völlig einig.
(Joachim Poß (SPD): Ja!)Nur, wohin führt es, wenn wir als Politiker künftig die Löhne und die Mindestlöhne festsetzen? Ich sage Ihnen voraus: Dann werden wir das erleben, was Sie im Kanzleramt am Montag letzter Woche gemacht haben, nämlich Lohnverhandlungen in der Politik. Die Union sagt: Wir sind bereit, 8 Euro Mindestlohn zuzugestehen. Die SPD sagt: Unter 9,80 Euro ist mit uns nichts zu machen. Dann sind wir nicht mehr in der sozialen Marktwirtschaft mit Tarifautonomie, wo Vertragsparteien sich einigen müssen, dann machen wir in Wahrheit Lohndiktat. Mindestlöhne? Maximallöhne, Obergrenzen für Managergehälter? Demnächst vielleicht noch Obergrenzen für Energiepreise? Mindestpreise für Agrarprodukte? Das ist mir, offen gestanden, zu viel DDR. Ich bleibe Anhänger der sozialen Marktwirtschaft.
(Beifall bei der FDP – Petra Merkel (Berlin) (SPD): Egal wer unter die Räder komm!)Frau Bundeskanzlerin, Sie sagen, dass Sie die Maastrichtkriterien einhalten. Das ist in der Sache falsch. Sie halten ein einziges Maastrichtkriterium ein, nämlich das Staatsdefizit von 3 Prozent. Die Schuldenstandsquote von 60 Prozent wird mit 63 Prozent unverändert überschritten; auch das muss gesagt werden.
Zur Innenpolitik noch eine Bemerkung. Meine Damen und Herren von der Linken in diesem Hause damit meine ich auch die SPD; das meine ich nicht polemisch, sondern als Beschreibung der Sitze hier in diesem Hause ,
(Zuruf von der SPD: Wir haben damit kein Problem!)wenn Sie sagen, dass die Leiharbeit besorgniserregend zunimmt, dann haben Sie eine Entwicklung beschrieben, die uns über die Parteigrenzen in diesem Hohen Hause hinweg auf Dauer nicht gefallen kann. Nur, wie wir dagegen vorgehen, das unterscheidet uns. Warum nimmt denn die Leiharbeit zu? Weil unser Arbeitsrecht in Wahrheit immer noch zu starr und zu bürokratisch ist.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)Flexibilisieren Sie endlich! Dann haben Sie auch entsprechend positive Effekte. Bei den Preisen ist genau dasselbe zu sagen: Es ist wahr, die Preise steigen. Deswegen kommt der Aufschwung bei den Bürgern auch nicht an. Nur, jemand von der Regierung, der die Preissteigerungen beklagt, hat, weil er doch mit Steuererhöhungen ebendiese Preissteigerungen bewirkt, kein Recht, sie zu beklagen.
(Beifall bei der FDP)Nun sagen Sie, Sie würden den Durchschnittsarbeitnehmer im nächsten Jahr um 240 Euro entlasten. Das mag ja stimmen. Aber Sie verschweigen, dass Sie zu Anfang dieses Jahres die Arbeitnehmer durchschnittlich um weitere 1 600 Euro belastet haben. Das ist doch keine faire Politik.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)Sie nehmen den Bürgern das Schwein vom Hof, geben ein Kotelett zurück und sagen ihnen: Jetzt seid mal schön zufrieden! Kein Wunder, dass die Bürger das nicht mit sich machen lassen wollen.
(Beifall bei der FDP)Ich will mit einer Bemerkung zu einem Thema schließen, über das wir heute Nachmittag, soweit ich weiß, und morgen noch lange reden werden, nämlich über die Innen- und Rechtspolitik. Auch das muss an dieser Stelle noch angesprochen werden.
Wir erleben nämlich nicht nur mehr staatliche Bevormundung in der Wirtschaft, sondern wir haben in diesen ersten zwei Jahren der sogenannten Großen Koalition auch einen atemberaubenden Abbau von Bürgerfreiheiten und Bürgerrechten erlebt. Ich habe nicht die Absicht, das hier unerwähnt zu lassen, weil ich der festen Überzeugung bin, dass man die Freiheit unseres Landes nicht schützen kann, indem man die Freiheit unserer Bürger immer mehr aufgibt. Das ist ein schwerer Fehler.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))Ich sage an dieser Stelle: Herr Schäuble setzt in Wahrheit geradezu dramatisiert eine Politik fort, die unter Rot-Grün mit Herrn Schily begonnen wurde. Auch das ist ein schwerer Fehler.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie des Abg. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))Freiheit muss der Maßstab unserer Republik bleiben. Freiheit steht an erster Stelle, und zwar nicht die Freiheit von Verantwortung, sondern die Freiheit zur Verantwortung.
Soziale Marktwirtschaft ist allemal besser als jeder Weg in Richtung Planwirtschaft oder bürokratische Staatswirtschaft. Das ist unser Auftrag, und das ist die geistige Auseinandersetzung, die in diesem Lande überfällig ist.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Anhaltender Beifall bei der FDP)
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