Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der Tageszeitung "Die Rheinpfalz" (Sonntag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte WINFRIED FOLZ:
Frage: Herr Westerwelle, haben Sie manchmal das Gefühl, überflüssig zu sein?
WESTERWELLE: Dieses Gefühl hatte ich - in aller Bescheidenheit - nicht eine Sekunde in meinem Leben.
Frage: Die FDP als stärkste Oppositionsfraktion spielt in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle. Was machen Sie falsch?
WESTERWELLE: Dass man in Anbetracht der chaotischen Verhältnisse in der Koalition mit konstruktiver Oppositionspolitik nicht so oft in die Schlagzeilen kommt, liegt in der Natur der Sache. Entscheidend ist für mich, dass die Wähler uns unterstützen. In den letzten Jahren hatten wir auf allen Ebenen 40 Wahlen, davon hat die FDP in 35 Fällen zugelegt. Wir haben einen Mitgliederzuwachs und einen enormen Zulauf bei den Veranstaltungen.
Frage: In die Beratungen über die beschlossene Diätenerhöhung war die FDP nicht eingebunden - schmerzt Sie diese Arroganz der Macht?
WESTERWELLE: Wir haben gegen die schwarz-rote Diäten-Anhebung gestimmt, weil wir wollen, dass die Höhe der Politikerbezüge künftig von einer beim Bundespräsidenten angesiedelten unabhängigen Sachverständigenkommission festgelegt wird und die Abgeordneten dann selber für ihr Alter vorsorgen sollen. Es ist bedauerlich, dass Union und SPD sich der Auseinandersetzung mit unseren Vorschlägen verweigert haben - damit ist eine große Chance, das Ansehen des Parlaments zu verbessern, vertan worden.
Frage: Nennen Sie uns zwei Themen, bei denen die FDP in diesem Jahr erfolgreich Politik gemacht hat.
WESTERWELLE: Nehmen Sie die Beendigung der Steinkohle-Subventionierung und damit die Gewinnung neuer Mittel für Bildung, Forschung und Ausbildung. Das haben wir mit unserer Regierungsbeteiligung in Nordrhein-Westfalen durchgesetzt. Dafür hat die ganze FDP eineinhalb Jahrzehnte gekämpft. Und wir standen bis vor kurzem noch ganz allein da. Ein anderer, beispielhafter Schwerpunkt ist, dass wir mit einem klaren Kontrastprogramm aufmerksam gemacht haben auf den zunehmenden Linksrutsch der anderen Parteien. Es rutscht ja nicht nur die SPD spektakulär nach links, es rutscht die Union ja leise hinterher.
Frage: Wo hätten Sie für die FDP gerne mehr erreicht?
WESTERWELLE: Damit könnten wir alleine das ganze Interview füllen. Wir wollen ja in die Regierungsverantwortung, um den Politikwechsel zu ermöglichen. Dass wir bis heute kein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem haben, ist einer der Gründe, warum die Bürger so wenig vom Aufschwung mitbekommen und zu Recht so ärgerlich auf die Politik sind. Und bei vielen neuen Technologien - von der Bio- und Gentechnik bis hin zur friedlichen Nutzung der Kernenergie - verpassen wir herausragende Chancen für Umweltschutz, Wirtschaft und außenpolitische Unabhängigkeit.
Frage: Nach der jüngsten Koalitionsrunde haben wir Ihre Forderung nach Neuwahlen vermisst...
WESTERWELLE: Ich fürchte, dass in dieser Woche der Bundestagswahlkampf ausgerufen wurde. Die Tatsache, dass Herr Beck nicht ins Kabinett wechselt, sondern in Mainz bleibt, zeigt, dass er Schwarz-Rot abgeschrieben hat, dass er keine Verantwortung übernehmen möchte. Er will als Wahlkämpfer schon mal loslegen. Zwei Jahre Dauerwahlkampf kann sich Deutschland aber nicht leisten, deshalb bleibe ich bei meiner Haltung, dass ein vorzeitiges Ende der Legislaturperiode besser wäre als eine solche Hängepartie
Frage: Was ist Ihr Eindruck: Will sich die Koalition nicht einigen oder kann sie sich nicht einigen?
WESTERWELLE: Beides. Die Regierungsparteien können sich nicht einigen, weil ihre Positionen zu weit auseinander liegen und es nicht einmal zum kleinsten gemeinsamen Nenner reicht. Aber die Koalition will sich auch nicht einigen, weil beide Lager schon dabei sind, ihre Schützengräben für den Wahlkampf auszuheben. Dass sie noch weiter amtieren, liegt einzig daran, dass die Union sich nicht eingestehen will, dass ihre Regierung mit der SPD scheitert. Und die SPD hat eine panische Angst vor dem Wähler.
Frage: Wie folgenreich ist der Rückzug von Müntefering für die Koalition?
WESTERWELLE: Ob sein Rücktritt nur familiäre oder auch politische Motive hat, sei dahingestellt. Aber es ist offensichtlich, dass er erhebliche Konsequenzen nach sich zieht. Die Achse der Stabilität ist weg. Herr Beck will den Part nicht übernehmen, sondern tut genau das, was die SPD immer an Herrn Stoiber kritisiert hat, und lässt sich für Deutschland nicht in die Pflicht nehmen.
Frage: Ist das verantwortungslos?
WESTERWELLE: Jedenfalls nicht verantwortungsvoll. Der SPD-Vorsitzende kann für Deutschland im Mainzer Landtag erheblich weniger bewirken als in der Rolle des Vizekanzlers dieser Republik
Frage: Bleiben wir in Mainz: Die FDP hat viele Jahre mit der SPD in Rheinland-Pfalz pragmatisch-mittelstandsfreundlich regiert. Sind Sie enttäuscht über Becks Drang nach links?
WESTERWELLE: Das ist eine große politische Enttäuschung. Ausgerechnet der Ministerpräsident, mit dem wir fast anderthalb Jahrzehnte lang hervorragend zusammengearbeitet haben, ruft jetzt den "demokratischen Sozialismus" aus. Das hätte ich nicht für möglich gehalten.
Frage: Überschätzen Sie nicht diese Traditions-Formel der SPD?
WESTERWELLE: Die nehme ich sehr ernst, denn die Modernisierer der SPD hatten ursprünglich durchgesetzt, diese Formel in das Grundsatzprogramm nicht mehr aufzunehmen. Am Ende hat man dann doch den "demokratischen Sozialismus" beschlossen. Das ist eine bewusste Entscheidung und ein eindeutiges Signal nach links. Jetzt haben wir zwei Parteien, die sich dem "demokratischen Sozialismus" verschrieben haben - die Linkspartei und die SPD. Und bei den Grünen wurden auf dem letzten Parteitag auch sehr deutliche fundamentalistische Zeichen gesetzt.
Frage: Können Sie sich ein Bündnis mit den Sozialdemokraten noch vorstellen?
WESTERWELLE: Mein Vorstellungsvermögen ist stets unbegrenzt. Aber eine Partei, die sich wie die SPD als Partei des "demokratischen Sozialismus" versteht, bewegt sich schlichtweg von uns weg.
Frage: "Freiheit statt Sozialismus?" - wird dieser Slogan den nächsten Wahlkampf bestimmen?
WESTERWELLE: In der Sache wird es eine verschärfte Auseinandersetzung darüber geben. Je intensiver SPD, Grüne und Linkspartei ein Bündnis vorbereiten und sich programmatisch annähern, desto mehr wird es eine bürgerliche Gegenbewegung geben, die nach der Bundestagswahl mit der FDP für klare Verhältnisse sorgt.
Frage: Haben Sie kein Verständnis dafür, dass die große Mehrheit der Menschen angesichts des Aufschwungs ein größeres Bedürfnis nach sozialer Gerechtigkeit hat?
WESTERWELLE: Das Bedürfnis habe ich auch. Weil ich es unfair finde, dass die Regierung die Bürger nicht am Aufschwung teilhaben lässt. Schwarz-Rot hat mit der Mehrwertsteuererhöhung und anderen Erhöhungen dafür gesorgt, dass einer vierköpfigen Familie im Schnitt 1600 Euro weniger zur Verfügung stehen als im letzten Jahr.
Frage: Jetzt werden im Gegenzug die Sozialbeiträge gesenkt...
WESTERWELLE: Das ist nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein der Mehrwertsteuererhöhung. Was haben die Bürger von einem steigenden Mindest-Bruttolohn, wenn durch die Steuer- und Abgabenpolitik der Bundesregierung immer weniger Netto in der Tasche bleibt? Die Netto-Frage ist doch die eigentliche soziale Frage.
Frage: Die Sorge vor der eigenen Arbeitslosigkeit - hat Sie das in Ihrem Leben jemals umgetrieben?
WESTERWELLE: Ja, bis in meine engste Familie hinein, von meinem Freundeskreis ganz zu schweigen. Ich führe ja ein ganz normales Leben. Schicksalsschläge machen vor niemandem Halt. Aber gerade weil ich das Problem von arbeitslosen Frauen und Männern über 50 sehe, wieder in Arbeit zu kommen, bin ich der Überzeugung, es wäre vernünftiger, die frei werdenden Mittel der Bundesagentur für Arbeit nicht in die längere Begleitung von Arbeitslosigkeit zu stecken, sondern jeden Euro zu nutzen, um Arbeitslosigkeit zu verkürzen.
Frage: Wieso wird die FDP von Menschen nicht wahrgenommen, die zur Zielgruppe der Partei zählen - um die 30, gut verdienend, politikinteressiert? Die Grünen laufen Ihnen in den Städten den Rang ab. Was machen die Liberalen falsch?
WESTERWELLE: So eindeutig ist dieser Trend nicht, wir haben zum Teil auch sehr spektakuläre Zuwächse. Wo es nicht so ist, wollen wir unsere Stärken und Schwächen analysieren. Aber unterm Strich wollen wir nicht vergessen: Die FDP ist im Bundestag die drittstärkste Kraft, die Grünen stehen auf Platz 5.
Frage: Wir beschäftigen uns in dieser Zeitungsausgabe auch mit dem Thema "Werkzeugkasten für Politiker". Wie wichtig sind Netzwerke für einen Politiker?
WESTERWELLE: Die sind von herausragender Bedeutung, nicht nur in der Politik, sondern im ganzen Leben. Jeder hat Phasen, in denen es nicht gut läuft und man ein gesundes, stabiles Netz braucht, das einen auffängt. Wenn Sie allerdings den Aspekt der Karriereplanung meinen, würde ich eher von Seilschaften sprechen. Die gibt es in der Politik natürlich auch. Wenn diese aber dazu führen, dass Kompetenz nur wenig, aber Gefolgschaft viel zählt, dann sind sie gefährlich.
Frage: Was halten Sie von der Politiker-These: "Wen du nicht besiegen kannst, den umarme so inniglich, dass er sich kaum mehr rühren kann"?
WESTERWELLE: Da fällt mir die stattliche Statur von Helmut Kohl ein. Es ist in der Politik notwendig zu wissen, wann man kämpfen muss und wann man sich arrangieren muss. Das ist aber nicht nur in der Politik so, sondern überall.
Quelle:
Die Rheinpfalz, 18. November 2007
Sonntag, 18. November 2007
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