Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem „ZDF-Morgenmagazin“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte CHRISTIAN SIEVERS:
WESTERWELLE: Doch, das sage ich. Das sage ich deshalb, weil ich glaube, Lösung ist ja nicht Klein-Klein, ist ja nicht Hangeln über den Tag hinaus. Sondern Lösung heißt ja, wirklich auch etwas Großes für Deutschland zu bewirken. Die „Große Koalition“, wie sie sich selber nennt, ist ja mal angetreten mit dem Anspruch, wirklich Großes zu bewirken. Wirklich groß war diese Koalition nur beim Thema Steuererhöhungen, ansonsten hat sich diese Koalition doch sehr im Klein-Klein aufgehalten.
Frage: Herr Westerwelle, für welches der noch offenen Probleme trauen Sie denn der großen Koalition eine Lösung zu? Jetzt sagen Sie nicht für keins.
Frage: Ja, Herr Westerwelle, Wirtschaftsexperten loben zum Beispiel die Rente mit 67. Sie loben das Rückfahren der Neuverschuldung. Das sind doch große Erfolge, oder?WESTERWELLE: Hier bin ich anderer Auffassung, denn die Taschen von Herrn Steinbrück werden ja voller, weil die Taschen der Bürger leerer werden. Mit Steuererhöhungen Haushalte zu konsolidieren, das kann jeder. Aber Ausgabenkürzungen zu beschließen, das wäre politische Kunst gewesen. Und dass diese Regierung die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik zu Beginn dieses Jahres in Kraft gesetzt hat und gleichzeitig noch Milliarden neue Schulden macht, das zeigt, dass es mit der finanzpolitischen Konsolidierung überhaupt nicht so weit ist, wie sie selber meint
Frage: 1,1 Millionen weniger Arbeitslose in Deutschland. Senkung des Beitrags der Arbeitslosenversicherung, Unternehmenssteuerreform, erster Teil der Föderalismusreform. Sind das nicht alles Punkte, bei denen auch eine Opposition irgendwann einmal sagen muss: „Ehre wem Ehre gebührt“?WESTERWELLE: In der Außenpolitik und in der Europapolitik würde ich Ihnen und dieser Koalition sogar Freundliches sagen. Ich glaube: Außen- und europapolitisch hat diese Koalition ordentlich gearbeitet. Ich finde es gut, dass beispielsweise die Unterbetonung der Menschenrechte, die die Regierung Schröder/Fischer ausgezeichnet hat, jetzt beendet wurde. Ich wehre mich und wende mich auch gegen die Kritik des Bundesaußenministers. Ich finde, es ist richtig, dass die Bundeskanzlerin auch das Thema Menschenrechte betont und international wieder zur Geltung bringt. Wenn es aber um die Innenpolitik geht, um die Wirtschaftspolitik geht, so ist das eine Regierung der verpassten Chancen. Denn gerade, weil die Weltkonjunktur so gut ist, gerade weil wir deswegen in Deutschland auch gute Konjunktur haben, müsste jetzt ja vorgesorgt werden - auch durch strukturelle Veränderungen - für schwächere Zeiten. Wir können doch nicht in den Tag hinein leben. Jeder weiß, der uns jetzt zuschaut, dass wir derzeit gute Konjunktur in der Welt haben, jeder weiß auch, dass die Weltkonjunktur eine sehr wacklige Angelegenheit ist - und genau für schlechtere Zeiten müsste jetzt vorgesorgt werden. Und das unterbleibt.
Frage: Aber Ihnen als Opposition macht das doch das Leben schwer, oder? Denn Sie müssten eigentlich sagen: Je schlechter die Zahlen sind, um so einfacher ist meine Arbeit.WESTERWELLE: Nein, wir sind erst einmal alle deutsche Staatbürger, und ich persönlich kann das für mich sogar sagen: Ich bin ein deutscher Patriot. Und mir geht es darum, dass dieses Land eben auch in Jahren noch gute Chancen hat. Und wenn man in guten Zeiten nicht vorsorgt, dann verpasst man leider auch die Vorsorge für die schlechten Zeiten. Dann wird es uns in Zeiten eines Abschwungs doppelt hart treffen. Das ist meine Sorge. Wir hatten übrigens zu Beginn dieses Jahrzehnts schon einmal eine solche Lage. Im Jahr 2000 – die Konjunktur boomte, die Staatseinnahmen sprudelten, Arbeitsplätze entstanden und das Ergebnis war, weil nicht vorgesorgt wurde, weil keine strukturellen Veränderungen gemacht worden sind, beispielsweise in der Steuerpolitik, der Steuerstrukturreformen: Ein Jahr später hatten wir über fünf Millionen Arbeitslose, und die Staatfinanzen waren völlig kaputt. Man muss, wenn es einem gut geht, genau an die Zeiten denken, dass es einem schlechter gehen könnte.
Frage: Angela Merkel und Sie waren mal Dutzfreunde. Dutzen Sie sich immer noch?WESTERWELLE: Ja selbstverständlich.
Frage: Mit Ihrer Kritik an der Kanzlerin - sagen Sie sich da nicht, hups, Guido pass ein bischen auf, irgendwann willst Du ja mit der gleichen Frau auch noch mal regieren?WESTERWELLE: Nein, ich bin der Vertreter der stärksten Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag, und meine Aufgabe ist es, eine ohnehin sehr zerstrittene und bräsige Koalition auch von außen zu kritisieren, Alternativen vorzulegen - und das ändert ja nichts an meiner persönlich, menschlichen Wertschätzung beispielsweise für Angela Merkel.
Frage: Können Sie der gleichen Kanzlerin, die Sie jetzt so kritisieren, dann sagen: Ab 2009 würden wir gern mit der zusammenarbeiten?WESTERWELLE: Ja, weil wir eine andere Politik machen wollen und auch machen werden. Ich hätte ja, bei allem Respekt, längst regieren können, indem ich nämlich zwischen Herrn Schröder und Herrn Fischer auf der Regierungsbank Platz genommen hätte noch am Wahlabend. Die Einladung war für alle sichtbar im Fernsehen ausgesprochen worden. Wir haben gesagt, wir wollen das Richtige für Deutschland tun - ein Politikwechsel, auch eine marktwirtschaftliche Erneuerung, damit Wohlstand auf Dauer möglich ist in Deutschland. Und das war mit Rot-Grün nicht möglich, und deswegen setzen wir auch unverändert auf einen Politikwechsel, und ich habe den Eindruck, dass das Vertrauen in uns auch wächst.
Frage: Sie haben zu Beginn des Gesprächs gesagt, eigentlich wird die Große Koalition kein Problem wirklich lösen können jetzt in den nächsten Jahren. Teilen Sie den Optimismus von Angela Merkel, dass sie durchhält - die Koalition? Teilen Sie wenigstens diesen Optimismus bis 2009?WESTERWELLE: Es ist möglich, aber es ist nicht ausgemacht. Die Halbzeit kann sehr gut auch eine zweidrittel Etappe gewesen sein, so wie bei der letzten Großen Koalition Ende der sechziger Jahre. Die dauerte auch drei Jahre.
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