Berlin. Der FDP-Partei- und –Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE schrieb für die „Mainzer Allgemeine Zeitung“ den folgenden Gastbeitrag:
„In Deutschland werden von der Politik derzeit zwei goldene Regeln der sozialen Marktwirtschaft zunehmend außer Kraft gesetzt: Leistung muss sich lohnen. Und wer arbeitet muss mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet.
In Deutschland muss dringend die Netto-Frage beantwortet werden – denn nicht das Bruttogehalt ist entscheidend für den praktischen Wohlstand unserer Bürger und Familien, sondern das, was nach Steuern und Abgaben noch handfest übrig bleibt zum Leben. Was nützt ein Bruttomindestlohn auf dem Papier, wenn der Staat durch immer höhere Steuern und Abgaben immer weniger netto übrig lässt? Die Netto-Frage ist die wichtigste soziale Frage unserer Zeit - jedenfalls für diejenigen, die in Deutschland den Karren ziehen.
Die Bürger sagen mit großer Mehrheit: Derzeit geht es in Deutschland nicht gerecht zu – wo bleibt mein ganz persönlicher Aufschwung? Dieses Gefühl der Bürger stimmt. Von der Erhöhung der Mehrwertsteuer bis zur Versicherungsteuer haben Union und SPD mit der größten Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik das Leben für alle teurer gemacht. Einer durchschnittlichen vierköpfigen Familie wurde 2007 rund 1600 Euro mehr abgenommen als im Vorjahr. Es ist gut, dass jetzt wenigstens die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung etwas gesenkt worden sind. Aber es ist schlecht, dass diese Senkung teilweise von den Beitragserhöhungen bei der Pflegeversicherung, bei der Rente und bei der Gesundheitsversorgung sofort wieder aufgefressen wird.
Gleichzeitig klettern die Preise im Rekordtempo – im Supermarkt genauso wie an der Tankstelle, bei Gas, Wasser und Strom. Wer das beklagt, sollte sich zuallererst bewusst werden, dass die Energiepreise zu zwei Dritteln vom Staat gemacht sind. Wie sollen Rentner mit vielleicht einem Prozent Rentenerhöhung bei gleichzeitig dreiprozentiger Inflation mit einem so starken Anstieg der Energiekosten zurecht kommen? Nicht nur Essen und Trinken sind Grundbedürfnisse. Der Mensch will auch nicht frieren. Dass durch die Politik die Strom- und Energiepreise so massiv gestiegen sind, dass eine ganz neue Form von Altersarmut entstanden ist, müsste ein dringliches Thema für die Bundesregierung sein. Was der Staat dagegen tun kann, sollte er tun: Die Regierung könnte beispielsweise die Mehrwertsteuer von 19 Prozent für Energie auf 7 Prozent senken, wie es das bereits jetzt für Lebensmittel gibt. Heizen, Strom, Energie sind genauso Grundbedürfnisse für den Menschen wie Lebensmittel. Dass für K unstwerke ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz gilt, nicht aber für Energie, ist ordnungspolitisch nicht überzeugend.
Deutschland muss kluge Vorsorge betreiben. Am Konjunkturhimmel sind längst düstere Wolken aufgezogen. Unser Wachstum wird schwächer. Viele Investoren haben heute weniger Vertrauen als in den zurückliegenden beiden Jahren. Die Weltwirtschaft wird Deutschland nicht weiterhin so mitziehen wie bisher. Umso nötiger ist es, dass wir die Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft fortsetzen und die Agenda 2010, die ja nur eine Schmalspuragenda war, nicht noch rückabwickeln.
2008 hätte das Jahr sein können, in dem der deutsche Bundeshaushalt erstmals seit Jahrzehnten ohne neue Schulden auskommt. Schwarz-Rot hat 30 Milliarden Euro Defizit vorgefunden, und obwohl unerwartet 50 Milliarden Euro mehr eingenommen wurden, machen Union und SPD immer noch 12 Milliarden Euro neue Schulden. Das ist nicht fair gegenüber der jungen Generation. Den Haushalt mit Steuererhöhungen sanieren – das kann jeder. Für einen gesunden Bundeshaushalt zu sorgen, indem der Staat bei sich selbst spart – das wäre nötig. Wir haben für jedermann nachlesbar mehr als 400 konkrete Vorschläge gemacht, wie der Bundeshaushalt bereits in diesem Jahr ohne Schulden auskommen könnte.
Andere sagen, Deutschland könne sich Steuersenkungen nicht leisten. Wir sagen: Deutschland kann es sich nicht leisten, auf Steuersenkungen zu verzichten. Ein niedrigeres, gerechteres und einfacheres Steuersystem bleibt die Mutter aller Strukturreformen. Die Hälfte aller Steuerzahler trägt etwa 94 Prozent der gesamten Einkommensteuerlast. Wenn diese Mitte die Lust an Leistung verliert, leiden darunter die Schwächsten zuerst, denn alles, was verteilt werden soll, muss vorher erst erarbeitet werden. Wer die Leistungsgerechtigkeit abschafft, wer verhindert, dass sich Anstrengung lohnt, der wird auch jede soziale Gerechtigkeit verlieren.
Statt über die vergessene Mitte zu sprechen, über diejenigen, die das Land tragen, die den Karren ziehen, redet die Bundeskanzlerin über Managergehälter, Herr Seehofer zertrümmert quasi sein Handy als Antwort auf die Standortkrise, der Umweltminister besucht Knut im Zoo und hält das für Umweltpolitik. Das sind Ablenkungsmanöver von realer Politik. Das erkennt nicht die Lebenslage der großen Mehrheit unserer Bevölkerung an. Wenn Schwarz-Rot vor der Geschichte mehr sein will als eine Übergangsregierung der verlorenen Jahre und der verpassten Chancen, muss die so genannte große Koalition auch tatsächlich etwas Großes auf den Weg bringen. Bislang sieht es danach nicht aus, sondern eher nach einer Hängepartie bis zum nächsten Wahltag.“
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen