Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der „
Saarbrücker Zeitung“ (19.12.2007), der „
Lausitzer Rundschau“ (19.12.2007) und weiteren Zeitungen das folgende Interview. Die Fragen stellte
WERNER KOLHOFF:
Frage: Herr Westerwelle, glauben Sie noch immer, dass die Große Koalition vorzeitig scheitern wird?
WESTERWELLE: Ich halte es noch nicht für ausgemacht, dass diese so genannte Große Koalition den regulären Wahltermin im Herbst 2009 erreicht. Denn die Phasen der Harmonie werden immer kürzer, die des Streits immer länger.
Frage: Nach den Zahlen ist die Regierung doch ganz erfolgreich. Die Staatsverschuldung geht zurück, die Arbeitslosigkeit ebenfalls.
WESTERWELLE: Das bisherige Wachstum verdanken wir vor allem der Weltkonjunktur. Kaum schwächt sich die ab, werden jetzt auch die Prognosen für Deutschland gesenkt. Und trotz unerwarteter Mehreinnahmen von 50 Milliarden Euro macht die Koalition aktuell noch zwölf Milliarden Euro neue Schulden bei einem vorgefundenen Defizit von 30 Milliarden. Union und SPD können nicht mit Geld umgehen. Früher hat man das von den roten Sozialdemokraten gesagt, heute muss man das auch von den schwarzen Sozialdemokraten sagen.
Frage: Welche Korrekturen verlangen Sie?
WESTERWELLE: Die Menschen müssen mehr Netto vom Brutto haben. Die Leistungsgerechtigkeit in Deutschland geht immer mehr verloren. Wenn man denen, die den Karren ziehen, immer mehr abnimmt, nimmt man ihnen die Lust auf Leistung. 50 Prozent der Einkommenssteuerzahler in Deutschland erwirtschaften 94 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens.
Frage: Für die wachsende Schicht der Geringverdiener ist das keine Lösung.
WESTERWELLE: Doch, gerade für diese Schicht gilt unser Ziel: Mehr Netto! Denn gerade für jene, die wenig verdienen, wird das Leben immer teurer. Die Rekord-Inflation zieht diesen Bürgern das Geld aus der Tasche, und die Regierung zieht mit – indem sie mit der Mehrwertsteuererhöhung den Konsum verteuert und mit der Ökosteuer oder der Zwangsbeimischung von Biokraftstoffen Energie verteuert. Der Aufschwung könnte im nächsten Jahr schon vorüber sein, noch bevor er bei der Bevölkerung wirklich angekommen ist. Diese Regierung hat den Bürgern in diesem Jahr die Aufschwungdividende durch die größte Steuererhöhung in der Geschichte genommen.
Frage: Arbeitsminister Scholz will Branche für Branche einen Mindestlohn per Entsendegesetz festlegen und für die anderen Bereiche das Mindestarbeitsbedingungsgesetz reformieren. Wird er sich durchsetzen?
WESTERWELLE: Die Union hat ihre ordnungspolitische Unschuld beim Post-Mindestlohn verloren, dem sie zugestimmt hat. Er dient allein dazu, die private Konkurrenz auszuschalten. Das war ein systematischer Bruch mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Jetzt legt die Regierung die Löhne fest, und nicht mehr die Tarifpartner – mir ist das zu viel Sozialismus. Die Union wird dafür bitter bezahlen. Sie wird damit in allen Wahlkämpfen von der SPD konfrontiert werden. Die Durchhalteparolen, die die Union jetzt loslässt, sind nichts wert. Sie wird Branche für Branche umfallen. Ich vertraue den Reden des Wirtschaftsministers und auch der Bundeskanzlerin an diesem Punkt nicht von hier bis Weihnachten. Ich stimme Olaf Scholz bedauerlicherweise in seiner Einschätzung zu, dass der allgemeine gesetzliche Mindestlohn kommen wird – weil die Union umfällt. Denn die Union will das Thema abräumen und wird ihm zustimmen. Mit dem Ergebnis, dass die Sockellöhne immer weiter steigen werden und die Arbeitslosigkeit zunimmt. Den Bürgern hilft kein Brutto-Mindestlohn auf dem Papier, sondern nur mehr Netto in der Tasche.
Frage: Hat Ihr Verhältnis zu Angela Merkel in diesem Jahr gelitten?
WESTERWELLE: Mein persönliches Verhältnis zur Bundeskanzlerin ist nach wie vor in Ordnung. Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich es nicht für möglich gehalten hätte, dass ein sozialdemokratischer Bundeskanzler, Gerhard Schröder, über Jahre eine staatliche Lohnfestsetzung verhindert, während eine christdemokratische Kanzlerin sie jetzt einführt. Das ist verkehrte Welt.
Frage: Und Ihr Verhältnis zu Kurt Beck?
WESTERWELLE: Ich hätte es ebenfalls nicht für möglich gehalten, dass der Ministerpräsident, mit dem wir in Rheinland-Pfalz so lange erfolgreich zusammen gearbeitet haben, seine Partei in Hamburg zur Partei des demokratischen Sozialismus ausruft.
Frage: Ich stelle fest, die FDP hat eine Äquidistanz zu beiden großen Parteien, allerdings negativ.
WESTERWELLE: Ich halte es in der Koalitionsfrage mit dem Beispiel der beiden 90-jährigen. Fragt der eine: Wie geht es dir? Sagt der andere: Wenn ich an die Alternative denke, geht’s mir gut.
Frage: Viele FDP-Mitglieder erwarten aber von Ihnen als Vorsitzendem, dass er sie 2009 nach elf Jahren in der Opposition endlich wieder auf die Regierungsbank führt.
WESTERWELLE: Ich könnte dort heute schon sitzen, zwischen Herrn Schröder und Herrn Fischer. Gerhard Schröder hat Verhandlungen am Wahlabend 2005 angeboten – Millionen Fernsehzuschauer waren dabei. Wir haben das abgelehnt. Uns war unser Wort gegenüber unseren Wählern wichtiger als ein paar Ministersessel. Wir wollen regieren. Aber nicht um jeden Preis. Ein Regierungswechsel ist nur das Mittel – der Politikwechsel ist das Ziel. Diese Klarheit im Kurs wird von unseren Wählern honoriert. Das wird sich auch bei den bevorstehenden Landtagswahlen zeigen.
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