Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Rheinischen Post" (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte MICHAEL BRÖCKER:
Frage: Arbeitslosengeld-Verlängerung, Mindestlohn-Verhandlungen, höhere Staatsausgaben. Die Union schwenkt nach links. Ist sie als Koalitionspartner für die FDP untauglich geworden?
WESTERWELLE: Ich bin politisch enttäuscht von der Union. Wenn zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Lohnverhandlungen im Kanzleramt stattfinden, hat das mit Ludwig Erhard oder sozialer Marktwirtschaft nichts mehr zu tun. Wir werden von einer Hand-in-den-Mund-Koalition regiert, die auf der Tagespolitik surft, aber nicht für die Zukunft vorsorgt. Ich bedaure, dass von Angela Merkels, Mehr Freiheit wagen? letztlich nur mehr Staat übrig geblieben ist.
Frage: Wenn die Union bei ihrer Politik bleibt, dürfte Ihnen 2009 eine Koalitionsaussage schwer fallen?
WESTERWELLE: Unser erster Koalitionspartner ist der Bürger. Manches spricht dafür, dass wir zeitnah vor der Bundestagswahl eine Koalitionsaussage treffen. Dass wir eine Regierungsbeteiligung nicht um jeden Preis mitmachen, habe ich am Abend der letzten Bundestagswahl klar gemacht, als wir trotz entsprechender Einladungen Rot-Grün nicht verlängert haben. Wir wollen weiterhin einen echten Politikwechsel.
Frage: Sehen Sie einen Linksdrall der Union?
WESTERWELLE: Ja, einige in der Union trösten sich ja damit, dass die SPD noch Schlimmeres wolle. Aber das reicht nicht. Nehmen sie die Abkehr von der Agenda 2010. Wenn man mir vor zwei Jahren gesagt hätte, dass ein sozialdemokratischer Kanzler Schröder marktwirtschaftliche Reformen durch das Parlament bringt, die unter Führung einer Unions-Kanzlerin rückabgewickelt werden, hätte ich das nicht für möglich gehalten.
Frage: Ureigene FDP-Positionen wie ein schlanker Staat und Steuersenkungen werden kaum noch diskutiert.
WESTERWELLE: Es gibt in Deutschland wieder zu viel DDR, zu viel Planwirtschaft, zu viel Bevormundung und zu viel Unfreiheit. Der staatliche Interventionismus hat wieder eine gewisse Konjunktur in Deutschland. Das liegt aber auch daran, dass manche Freunde der Freiheit nahezu vollständig wegtauchen.
Frage: Wen meinen Sie?
WESTERWELLE: Die geborenen Verbündeten einer marktwirtschaftlich orientierten Politik fallen aus. Wirtschaftsverbände wie BDI und BDA liegen wie Häschen in der Grube. Dabei müssten gerade sie an der Spitze einer Bewegung stehen, die für Leistungsgerechtigkeit und ein Festhalten an der Agenda 2010 eintritt. Die Wirtschaftsverbände sind zurzeit ein ordnungspolitischer Ausfall in der Bundesrepublik. Da ist mir zu viel Verführung durch Nähe zur Macht.
Frage: Auch SPD und Grünen entwickeln sich inhaltlich weg von der FDP. Sind Spekulationen über Ampel- und Jamaika-Koalitionen nun obsolet?
WESTERWELLE: Ich kann nicht zwei Jahre vor der Bundestagswahl jede Spekulation kommentieren. Aber die Differenz ist nach dem Wolkenkuckucksheim-Parteitag der Grünen und einer SPD des, demokratischen Sozialismus? offensichtlich. Wir müssen das Sammelbecken für die Kräfte der wirtschaftlichen Vernunft sein. Mein Aufruf geht an die wirtschaftlich Vernünftigen unter den Grünen und an sozialdemokratische Anhänger, die nicht eine zweite Partei des demokratischen Sozialismus unterstützen wollen. Wir werben auch konkret um enttäuschte Unions-Wähler, die das geistige Erbe von Ludwig Erhard nicht zu Grabe tragen wollen.
Frage: Thema Außenpolitik: Hätten Sie den Dalai Lama empfangen?
WESTERWELLE: Ich habe ihn schon empfangen und werde es auch weiterhin machen. Deutschland ist ein souveränes Land und die Regierungschefin braucht sich, anders als die Herren Schröder und Steinmeier meinen, nicht vorschreiben zu lassen, wen sie wo und wann empfängt.
Frage: Ist Menschenrechtspolitik nicht hinter den Kulissen effektiver?
WESTERWELLE: Die Mischung macht es. Außenpolitik muss immer gleichermaßen werte- und interessenorientiert sein. Wenn man eine der beiden Säulen vernachlässigt, dann bricht das gesamte Gebäude der Außenpolitik zusammen. Das gilt auch für Russland, wo oppositionelle Politiker wenige Tage vor der Wahl im Gefängnis sitzen. Das ist unter demokratischen Gesichtspunkten nicht zu begründen. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie das laut und ausdrücklich zur Sprache bringt. Außenminister Steinmeier darf sich nicht als Echo von Herrn Schröder darstellen, dessen Politik nur aus permanenten "Liebesgrüßen nach Moskau" bestand.
Frage: Sie streben 2009 einen Regierungswechsel an. Zieht der Parteichef Westerwelle persönliche Konsequenzen, wenn es nicht klappt?
WESTERWELLE: Jeder Parteivorsitzende haftet für Erfolg oder Misserfolg. Bisher ist meine Bilanz sehr überzeugend. Von 40 Wahlen haben wir 35 Mal zugelegt. Wir setzen auf Sieg.
Quelle
Rheinische Post 28.11.2007
Mittwoch, 28. November 2007
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