Westerwelle wirft Regierung Untätigkeit vor
Moderation: Elke Durak
Nach der Koalitionsrunde von Union und SPD hat der FDP-Bundesvorsitzende Guido Westerwelle der Regierung vorgeworfen, sie habe das Regieren eingestellt. Froh sei er allerdings darüber, dass es beim Post-Mindestlohn keine Einigung gegeben habe. Die Große Koalition habe das Entsendegesetz anwenden wollen, "um einen deutschen Staatsmonopolisten zu schützen vor inländischer, deutscher, privater Konkurrenz", sagte der FDP-Politiker.
Frage: Die Koalitionsverhandlungen gestern im Ausschuss. Tja, wie soll man sie bewerten. Die Verhandlungen über den Postmindestlohn sind gescheitert, die zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes I offensichtlich irgendwie gelungen. Die SPD-Vertreter werfen der Kanzlerin indirekt Wortbruch vor und sind schwer empört, was den Postmindestlohn betrifft. Ist diese Große Koalition noch regierungsfähig oder nur regierungswillig? Die Frage gebe ich weiter an Guido Westerwelle, den Bundesvorsitzenden der FDP und Chef der Bundestagsfraktion der Liberalen. Guten Morgen, Herr Westerwelle!
WESTERWELLE:: Guten Morgen, Frau Durak!
Frage: Also noch regierungsfähig oder nur noch regierungswillig, was sagen Sie?
WESTERWELLE: Das Einzige, was diese Regierungsparteien noch zusammenhält, sind die Lust auf Posten. Ansonsten hat diese Regierung das Regieren eingestellt. Sie hangelt sich von Koalitionsrunde zu Koalitionsrunde, einigt sich nicht, hat das Regieren letzten Endes eigentlich aufgegeben. Und wir sind mitten in einem Wahlkampf. Das ist jetzt ein Dauerwahlkampf, der die nächsten zwei Jahre, wenn die Periode so lange hält, vor uns stünde und das ist etwas, was sich Deutschland nicht leisten kann.
Frage: Darf man das den Wählern zumuten?
WESTERWELLE: Nein, das darf man den Wählern nicht zumuten. Man darf es Deutschland nicht zumuten. Man darf es der Konjunktur, unseren Arbeitsplätzen, unseren sozialen Wohlstandschancen nicht zumuten. Denn man darf ja nicht vergessen, es sind längst dunkle Wolken am Horizont der Konjunktur erkennbar. Die anderen Länder in der Welt werden auch nicht auf Deutschland warten, nur weil wir zwei Regierungsparteien haben, die auseinanderdriften. Die Phasen der Harmonie werden immer kürzer, die Phasen des Streits immer länger. Und mittlerweile sind nicht einmal mehr Koalitionsrunden geeignet, dort sich auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu verständigen. Früher hat man gesagt, dass Koalitionsrunden einer Großen Koalition auch Großes bewirken könnten. Mittlerweile sehen wir, eine Große Koalition macht keine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners, sie macht überhaupt keine Politik mehr.
Frage: Nun ist die FDP, ist ja Ihre Partei, wenn sie mitregieren will, auf Koalitionspartner angewiesen. Gemessen an der Empörung der SPD nach dem gestrigen Abend, scheint es ja so, als hätte sich die Union bei den schmalen Ergebnissen weitgehend durchgesetzt. Erhöht das die Chancen für Sie, eher mit der Union zusammenzugehen als mit der SPD 2009?
WESTERWELLE: Also die Tatsache, dass die Regierung noch nicht auseinandergeflogen ist, ist ja noch kein Erfolg, auch nicht für die Koalition. Und ich kann auch nicht erkennen, dass die Union sich durchgesetzt hat. Das Einzige, was beschlossen worden ist, ist, dass es beim Arbeitslosengeld eine Verlängerung gibt. Dafür gibt es keine ausreichende Beitragssenkung bei der Arbeitslosenversicherung. Die 3,3 Prozent, die vereinbart worden sind, sind sicherlich besser als gar nichts. Aber wir könnten, wenn wir die Spielräume ernsthaft nutzen wollten, bei drei Prozent landen. Das wäre eine erhebliche Rückführung der Lohnzusatzkosten. Das würde Arbeit in Deutschland preiswerter machen, und das würde dementsprechend auch neue Arbeitsplätze schaffen in diesem Lande. Früher hat die Union mal immer angekündigt, man werde alle Spielräume nutzen, um auch die Lohnzusatzkosten zu senken, und von diesem Versprechen, von dieser Ankündigung ist sie in einem wesentlichen Teil abgerückt. Es ist nic ht das erreicht worden, auch nicht bei der Beitragssenkung, was möglich gewesen wäre. Wir bedauern das, weil das Arbeitsplätze kostet.
Frage: Und mit so einer Partei wollen Sie koalieren?
WESTERWELLE: Na ja, es ist natürlich immer die Frage, da die FDP keine absolute Mehrheit hat und in aller Bescheidenheit und Ironie auch nicht ansteht, diese zu erringen, wird es natürlich immer darum gehen, dass man einen Koalitionspartner suchen muss. Aber bis dahin ist ja noch ein Stück.
Frage: Was würden Sie kippen von dem, was da so bis jetzt die Große Koalition zustande gebracht hat, was den Arbeitsmarkt beispielsweise betrifft?
WESTERWELLE: Wir würden mit Sicherheit den Beitrag senken auf etwa drei Prozent. Das ist ja errechnet worden, dass das möglich ist. Wir sind der Überzeugung, die Bürger brauchen endlich mehr Netto vom Brutto. Sie müssen etwas abhaben im Aufschwung. Hier wird geredet über den Mindestlohn. In Wahrheit kann es doch gar nicht für die Arbeitnehmer und für die Familien um irgendeinen theoretischen Bruttomindestlohn gehen. Es muss doch darum gehen, dass den Menschen mehr Netto übrigbleibt von dem, was sie sich hart erarbeitet haben. Mehr Netto, das wäre übrigens auch die Antwort auf die gestiegenen und immer weiter steigenden Energie- und Stromkosten. Das Leben der Menschen in Deutschland wird ja immer teurer, und da kann der Staat nicht immer mehr noch obendrauf legen, er müsste auf Entlastung setzen. Und diese Chance ist gestern jedenfalls mit Mut verpasst worden.
Frage: Gescheitert ist zunächst eine Einigung zum Postmindestlohn. Halten Sie das für gut, dass es gescheitert ist?
WESTERWELLE: Ich bin froh, dass es keine Einigung gibt. Denn das Entsendegesetz wäre natürlich einmal ein ordnungspolitischer Sündenfall, vor allen Dingen aber würde es etwa 50.000 Beschäftigte in privaten Zustellungsdiensten in ihren Arbeitsplätzen gefährden, und das wollten wir ja in jedem Fall verhindern. Aber es ist natürlich schon ein Stück aus dem Tollhaus, dieses Gesetz steht am Donnerstag auf der Tagesordnung in der zweiten Lesung. Jetzt können es die Koalitionsparteien von der Tagesordnung runternehmen. Wir haben ja schon in der letzten Woche dagegen argumentiert. Ich habe persönlich das Wort dagegen ergriffen. Denn es ist ja das erste Mal, dass eine Regierung ernsthaft beabsichtigt, dieses Entsendegesetz anzuwenden, um einen deutschen Staatsmonopolisten zu schützen vor inländischer, deutscher, privater Konkurrenz.
Frage: Ich meine, irgendwo gelesen zu haben heute Morgen, dass das am Donnerstag auch gar nicht stattfinden wird. Ein Wort noch zur Bahnprivatisierung. Auch das ist vertagt mit einem neuen Vorschlag, gegen den sich zum Beispiel die Gewerkschaften schon wieder in Stellung bringen. Bahnprivatisierung, muss das sein?
WESTERWELLE: Bestenfalls so, wie es die Regierung vorgelegt hat, muss es nicht sein, soll es auch nicht sein. So ist es Murks, so wird daraus nichts. Und deswegen kann man nur sagen, das, was bisher in der Koalition über Bahnprivatisierung vereinbart worden ist oder auch nur besprochen wurde, ist ja eher eine Verunglimpfung von Privatisierungspolitik. Wir müssen einen großen Wurf bei der Bahn bekommen, und das heißt, dass endlich die Politik den Mut haben muss, auch den Betrieb und das Netz zu trennen, das heißt, dafür zu sorgen, dass die Infrastruktur hoheitlich erhalten bleibt, dass gleichzeitig aber private Anbieter miteinander in Konkurrenz stehen. Das kennen wir aus allen anderen Branchen auch, Wettbewerb belebt das Geschäft. Und immer dann, wenn der Verbraucher die Chance des Wettbewerbes hat, dann ist es für ihn, für seine Preise, günstiger.
Frage: Aber die Bahn braucht Geld?
WESTERWELLE: So ist es, und deswegen geht es ja auch darum, dass der Betrieb tatsächlich privatisiert wird, dass private Anbieter kommen, aber eine stimmrechtslose Volksaktie, das ist ja nicht Fisch, das ist nicht Fleisch, da wird kein einziger privater Investor, wenn er weiß, er hat nichts zu sagen, Aktien kaufen. Und dass diese Bahnaktie vielleicht ein ähnlicher Renner werden könnte, wie die Telekom-Aktie, das glaube ich nach den Erfahrungen, nein mit den Kursentwicklungen bei der Telekom-Aktie, wird kaum passieren. Ich sehe nicht, dass da unser Volk einen Riesenansturm drauf starten würde.
Quelle
Deutschlandfunk, 13.11.2007 (hier)