Freitag, 4. Januar 2008

Fest im Sattel?

Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem WDR heute das folgende „Interview des Monats“ für die Sendung „Platz der Republik“. Die Fragen stellten DIRK MÜLLER und DR. GERD DEPENBROCK:

Frage: Herr Westerwelle, das Jahr hätte ja in der Tat schön beginnen können. Sie hätten beim anstehenden Dreikönigstreffen und bei den bevorstehenden Landtagswahlen die politischen Gegner ins Visier nehmen können. Statt dessen diskutieren wir seit gestern über ein Strategiepapier, das Wolfgang Gerhardt, Ihr Vorgänger als Vorsitzender in Partei und Fraktion, auf den Markt gebracht hat. Einerseits, schätze ich mal, dass das, was da in den Zeitungen in diesen Tagen steht, kann Sie nicht wirklich glücklich machen. Auf der anderen Seite, es steht immerhin was in den Zeitungen über die FDP.
WESTERWELLE: Mir geht es darum, dass wir bei allem, was man auch intern diskutieren muss, den Blick auf die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner nicht vergessen. Und deswegen werde ich mich Dreikönig auch traditionell mit unseren Alternativen zur Regierungskoalition befassen. Das Jahr 2008 muss aus Sicht der FDP das Jahr der Leistungsgerechtigkeit werden. Wir müssen uns wieder auf die Grundlagen unseres Erfolges besinnen. Und die Grundlage unseres Erfolges ist ein starker Mittelstand, ist eine starke Mittelschicht in Deutschland. Die wird von der Politik immer mehr abkassiert. Sie wird vergessen. Wir reden über alle Extreme. Wir reden über Heuschrecken, über Managergehälter, über Unterschichten und Dies und Das, aber über diejenigen, die den Karren in Deutschland ziehen, die das Land tragen, wird zu wenig gesprochen. Und das ist das Thema der FDP.

Frage: Herr Westerwelle, ist eine inhaltliche, eine innerparteiliche Strategiediskussion zurzeit inhaltlich und zeitlich deplaziert oder nur zeitlich unpassend für Sie?
WESTERWELLE: Es wird immer diskutiert, und erst recht in einer liberalen Partei. Und ich habe nicht die Absicht, das zu ändern. Das ist überhaupt einer der Gründe, warum ich in die FDP eingetreten bin, auch wenn ich jetzt als Vorsitzender gelegentlich manchmal die Stirn runzle.

Frage: Aber da ist ja auch die Begleitmusik. Von einer One-Man-Show ist da die Rede. Das meint eine Fokussierung auf Sie, dass alles auf die Person Westerwelle und seinen Politikstil konzentriert ist.
WESTERWELLE: Die FDP wäre ja bei den letzten Wahlen nicht so außerordentlich erfolgreich gewesen, bestünde unsere Partei quasi nur aus einem Vorsitzenden. Die FDP ist ein Team. Als Team hat sie in den letzten Jahren eine ungewöhnlich lange Phase von Wahlerfolgen sich erarbeiten können. Und dementsprechend wollen wir diesen Teamgeist auch fortsetzen. Wir sind eine sehr gute Mischung in der Führung der FDP. Da sind erfahrene, ältere Persönlichkeiten dabei wie beispielsweise ein über die Parteigrenzen hinweg anerkannter Steuerexperte Hermann Otto Solms. Oder nehmen Sie Rainer Brüderle, der wirklich den Namen „Anwalt des Mittelstandes“ bestens verdient. Oder nehmen Sie auch ganz junge Talente wie Philipp Rösler, der in Niedersachsen jetzt mit immerhin Anfang 30 Spitzenkandidat bei der Landtagswahl ist und augenscheinlich auch das Land und die Diskussion dort gut aufmischt, also auch eine hervorragende Alternative ist.

Frage: Nun melden sich aber auch andere aus der Führungsspitze ähnlich zu Wort, die stellvertretende Vorsitzende Cornelia Pieper, der Vorsitzende der Jungliberalen. Können Sie die Kritik gar nicht verstehen oder hat die im Kern doch einen wahren Ansatz?
WESTERWELLE: Ich denke, dass die FDP in den letzten Jahren eine erfolgreiche Strategie verfolgt hat, nämlich nicht auf kurzfristige Schlagzeilen zu setzen, sondern die eigene Substanz zu verbreitern, Kompetenzen, die wir haben, beispielsweise in der Wirtschaft, in der Sozial- und Steuerpolitik zu vertiefen, andererseits aber auch neue Kompetenzfelder zu erobern. Wir bemühen uns ja wirklich auch mit einem gewissen Erfolg um die Kulturpolitik. Das ist auch Ausdruck unseres liberalen Lebensgefühls. Das ist nicht immer schlagzeilenträchtig, aber es ist augenscheinlich sehr erfolgreich. Denn die FDP hat in den letzten Jahren bei vierzig Wahlen auf allen Ebenen 35-mal zugelegt. Und das ist das, was zählt in der Demokratie, dass die Bürgerinnen und Bürger uns unterstützen. Und wir sind ja auch die einzige Partei in Deutschland, die einen regelrechten Zulauf hat bei den Mitgliedern.

Frage: Wenn ich mir Kommentare in diesen Tagen in den Zeitungen angucke, dann klingt das dort unisono ganz anders. Die Freiheit sei heimatlos, heißt es da beispielsweise im „Tagesspiegel“. Die „FAZ“ schreibt, der Liberalismus ist tot. „Die Zeit“ stellt fest, die FDP kommt öffentlich kaum vor und profitiert nicht. Liegt das nicht vielleicht doch entweder an einem inhaltlich zu schmalen Angebot oder an personellem zu schmalen Angebot?
WESTERWELLE: Ich möchte mir bei aller Höflichkeit erlauben, an die Adresse von zwei Journalisten eine kleine Weisheit aus meinem bescheidenen Kästchen mitzugeben. Journalisten suchen den Streit. Sie lieben den Streit, sie brauchen den Streit. Und Wählerinnen und Wähler wollen die Geschlossenheit einer Partei. Sehen Sie es mir nach, ich entscheide mich für die Bürgerinnen und Bürger.

Frage: Und Sie meinen nicht, dass im Zweifelsfall auch Diskussionen innerhalb einer Partei dem Profil, eine Kontur, einer Partei gut tun könnte?
WESTERWELLE: Jede Diskussion ist mir immer herzlich willkommen. Was soll ich denn dagegen haben, dass die FDP inhaltlich diskutiert und auch diskutiert über das, was man besser machen kann oder wo man noch mehr dafür tun kann, dass wir noch besser bei den Wahlen abschneiden. Aber unterm Strich geht es darum, dass wir unsere Bürgerinnen und Bürger von unserem liberalen Gedankenmodell überzeugen, dass wir zeigen, es geht um einen Politikwechsel. Das ist mein Ziel.

Frage: Herr Westerwelle, Sie haben vorhin schon gesagt, bei der FDP steht die Leistungsgerechtigkeit im Vordergrund, die anderen Parteien setzen auf das Thema Soziale Gerechtigkeit. Die Bürger sagen mit großer Mehrheit, in Deutschland gehe es nicht gerecht zu. Wir bekommen vom Aufschwung nichts ab. Die anderen Parteien antworten darauf mit mehr sozialen Komponenten. Die FDP leistet Widerstand zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes I, sagt Nein zum Mindestlohn.
WESTERWELLE: Weil wir der Auffassung sind, dass staatliche Lohnfestsetzung die Grundfesten der sozialen Marktwirtschaft erschüttert.

Frage: Aber es geht doch nur um eine Untergrenze, den Rest machen doch die Tarifparteien auch.
WESTERWELLE: Nein. Denn wenn der Staat beispielsweise zum Schutz eines Postmonopols mal eben den höchsten Mindestlohn der Welt beschließt mit 9,80 Euro, dann weiß doch jeder, dass das Arbeitsplätze in Deutschland kostet. Und es sind doch auch schon Tausende von Entlassungen angekündigt worden. Dafür trägt die Union die Verantwortung, weil sie umgefallen ist. Und deswegen appelliere ich auch an die Union, diesen Linksruck nicht weiter mitzumachen. Dass die SPD und die Grünen der Linkspartei hinterher rennen, ist das Eine, und das ist ärgerlich genug. Dass die Union jetzt aber auch noch der SPD hinterher rennt auf diesem Weg, ist ein ganz schwerer Fehler, den wir mit Wohlstandsverlust bezahlen werden. Im Augenblick fällt das alles nicht wirklich auf, weil die Weltkonjunktur noch läuft und weil auch in Deutschland die Konjunktur hoffentlich einigermaßen stabil bleibt. Aber wir merken doch alle, dass wir auch für Zeiten vorsorgen müssen, wenn’s mal wieder schlechter geht. Und die Rückabwicklung der Reformpolitik, die doch gerade dazu einen Beitrag geleistet hat, dass wir heute weniger Arbeitslosigkeit haben, ist ein ganz schwerer struktureller Fehler. Damit kann man sich vielleicht im Augenblick beliebt machen, auf Dauer schadet man unserem Land.

Frage: Aber isoliert sich die FDP damit nicht möglicherweise politisch? Fürchten Sie nicht das Image? Das wird Ihnen ja immer wieder, auch in diesen aktuellen Diskussionen vorgehalten, das Image der FDP als einer kalten und herzlosen Partei?
WESTERWELLE: Ich glaube, dass das Thema Gerechtigkeit in Deutschland diskutiert werden muss. Und ich bin übrigens auch der Auffassung, wir haben eine Gerechtigkeitslücke in Deutschland. Nur ist die von der Regierung in weiten Teilen gemacht worden. Von dem Aufschwung kommt in der Tat in der breiten Bevölkerung nichts an. Ja warum? Weil zum Beispiel im letzten Jahr die Bundesregierung eine durchschnittliche Familie mit 1600 Euro mehr belastet hat. Das fehlt den Familien, zum Beispiel für die eigene Altersvorsorge, zum Beispiel auch, um den Binnenkonsum im Weihnachtsgeschäft und an anderer Stelle auch anzukurbeln. Und dieser Zusammenhang, der darf doch nicht vergessen werden. Wenn die Regierung sich darüber beklagt, dass die Ölpreise und die Benzinpreise damit gleich mit steigen, aber verschweigt, dass zwei Drittel des Benzinpreises von ihr, vom Staat, gemacht werden, dann will ich das nicht durchwinken. Das lasse ich nicht durchgehen. Der größte Preistreiber in Deutschland ist die Bundesregierung – mit der größten Steuererhöhung in der Geschichte der Republik. Und was nutzen uns eigentlich gute soziale Absichten, wenn es schlechte Ergebnisse gibt? Das ist doch die eigentliche Frage. Ist es denn gerecht in Deutschland, dass fünfzig Prozent, nämlich genau die Mittelschicht, derjenigen, die arbeiten, 94 Prozent aller Einkommensteuern in Deutschland aufbringen müssen? Ist das gerecht? Ist es gerecht, dass sich Leistung immer weniger lohnt für diejenigen, die hart arbeiten? Die haben auch Familien zu versorgen. Und ich empfinde es geradezu als unverschämt, dass die Politik und dass die anderen Parteien sich mit allem befassen, nur nicht mit denen, die dieses Land tragen. Das mag mich in der politischen Diskussion im Parlament einsam machen, aber ich befinde mich in bester Gesellschaft, nämlich mit der schweigenden Mehrheit dieser Republik.

Frage: Herr Westerwelle, schauen wir mal auf die anstehenden Wahlkämpfe. In Hamburg sieht es schlecht aus, wenn man Umfragen glaubt. Möglicherweise kommt die FDP wieder nicht über fünf Prozent. In Hessen könnte es eng werden zwischen Schwarz/Gelb und Rot/Rot/Grün. Nur Niedersachsen sieht stabil aus für eine Fortsetzung Schwarz/Gelb. Welche Koalitionen sind möglich?
WESTERWELLE: Wir wollen in Niedersachsen und in Hessen, bei allem, was ich an dem Linksrutsch der Union zu kritisieren habe, eine schwarz/gelbe Regierung ermöglichen, damit übrigens auch ein rot/rot/grünes Bündnis verhindert werden kann. Und wenn Herr Jüttner in Niedersachsen von der SPD und Frau Ypsilanti in Hessen von der SPD die Chance bekommen, mit Linkspartei und Grünen zu regieren – sie werden es tun.

Frage: Sie haben es beide abgelehnt!
WESTERWELLE: Sie werden es trotzdem tun. Sie werden genauso ihre Wahlversprechen, sie würden mit den Linken nicht regieren, vergessen wie sie ihr Versprechen vergessen haben, die Mehrwertsteuererhöhung niemals mitzumachen. Sie haben um drei Prozent die Mehrwertsteuer erhöht, obwohl sie vor der Bundestagswahl heilige Eide geschworen haben, das niemals mitzumachen. Die SPD wird mit den Linken und den Grünen regieren, wenn sie die Chance dafür bekommt. Und deswegen ist es auch ganz gut, dass die Wählerinnen und Wähler sehen, dass es knapp ist, dass es eine linke Mehrheit geben kann. Das mobilisiert hoffentlich auch viele, die wollen, dass das Land von der Mitte aus regiert wird, zur Wahl zu gehen.

Frage: Nun ist diese Festlegung auf Schwarz/Gelb nicht riskant, wenn die Linkspartei einzieht in weitere Westparlamente? Dann könnte ja wieder das passieren, was bei der Bundestagswahl eintrat. Es reicht gar nicht für eine Zweier-Konstellation. Kommt da nicht doch irgendeine Ampelkoalition, und sei es um einen Linksrutsch, die Beteiligung der Linkspartei zu verhindern?
WESTERWELLE: Nein. Wir setzen auf klare Verhältnisse. Dafür kämpfen wir. Das ist in Hessen und in Niedersachsen genauso drin wie übrigens auch in Hamburg. Ich glaube, dass wir in Hamburg gut und gerne ein Wahlergebnis um die sieben Prozent schaffen können, vielleicht sogar noch ein bisschen mehr; denn bei der Bundestagswahl hatten wir dort fast zehn Prozent. Also das Potenzial ist augenscheinlich da. In Hessen und in Niedersachsen steht die FDP außerordentlich stark da. Jedermann weiß, wenn es dort keine linke Mehrheit geben soll, braucht man die FDP, weil sowohl Herr Wulff als auch Herr Koch es alleine ja auf keinen Fall packen können. Und dementsprechend setze ich auf ein gutes Ergebnis. Übrigens nicht als Selbstzweck, sondern damit der Politikwechsel möglich wird. Ich möchte in aller Bescheidenheit daran erinnern, dass die FDP derzeit in den drei großen Bundesländern, nämlich in Nordrhein-Westfalen, in Niedersachsen und in Baden-Württemberg, mitregiert. Dort lebt fast die Hälfte der Bevölkerung. Und dort kann man erkennen, bei allem, was man im Tagesgeschäft auch kritisieren mag: Deutschland kann besser regiert werden, als mit diesem Stillstand der so genannten großen Koalition in Berlin.

Frage: Wenn Sie den Politikwechsel fordern, dann müssen Sie den aber auch zunächst mal bei der Union einfordern. Wenn ich jetzt zum Beispiel auf Hessen schaue, Roland Koch versucht wieder Stimmen zu bekommen, indem er im Wahlkampf das Thema Innere Sicherheit auf die Tagesordnung gesetzt hat, in den letzten Tagen dann ja auch mit Forderungen zu einer Verschärfung des Jugendstrafrechtes, Maßnahmen gegen jugendliche Straftäter mit ausländischen Wurzeln. Und Unionspolitiker fordern ja auch Straflager und Erziehungslager. Da müssen Sie doch ansetzen, da müssen Sie doch aufschreien!
WESTERWELLE: Nein. Wenn Roland Koch sagt, dass das Thema der Inneren Sicherheit natürlich auch diskutiert werden darf in Zeiten des Wahlkampfes, dann hat er Recht. Ich bin nur dafür, dass wir nicht mit Placebos, mit weißer Salbe, mit Symbolik arbeiten in der Inneren Sicherheit, sondern mit dem, was die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger wirklich vergrößert. Und unsere Sicherheit, die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, wird nicht durch tausend neue Gesetze vergrößert, sondern durch mehr Polizeipräsenz, auch auf der Straße. Und wenn ein Bundesland Polizeistellen abbaut, gleichzeitig aber ein Defizit in der Inneren Sicherheit beklagt, passt das nicht zusammen. Wenn Roland Koch in seinem eigenen Bundesland zum Beispiel das geschlossene Heim für schwerkriminelle Jugendliche schließt, gegen die Initiativen der FDP übrigens schließt, und gleichzeitig sagt, da ist ein Defizit, dann passt das nicht zusammen. Wenn wir an diese furchtbaren Bilder denken von diesen zwei sc hwerkriminellen Jugendlichen, die diesen armen Mann da in München in der U-Bahn zusammengetreten haben und ihn fast in Lebensgefahr gebracht haben, ist doch eines klar: Tausend Gesetze hätten den nicht geschützt, aber ein Polizeibeamter, der Streife geht in der Nähe, das wäre ein Schutz gewesen. Und darauf legen wir Wert. Wir haben kein Gesetzesdefizit in Deutschland, wir haben ein Vollzugsdefizit. Ich will, dass Worten Taten folgen. Und das ist eine klassische liberale Haltung; denn Toleranz ist gut. Toleranz gegenüber Kriminellen oder Intoleranz, das ist jedenfalls nicht unsere Sache.

Frage: Aber es gibt ja noch eine ganze Reihe anderer Punkte, die in der Union beim Thema Innere Sicherheit immer wieder auf die Tagesordnung gebracht werden, ganz sicher gegen die Meinung der FDP und gegen Ihre Meinung: Terroristenbekämpfung als Stichwort, Kennzeichen-Erfassung, Online-Durchsuchung. Sie wollen trotzdem mit der Union koalieren?
WESTERWELLE: Ja, wir wollen und wir werden das auch in Hessen und in Niedersachsen, jedenfalls arbeiten wir dafür, weil die Alternative Rot/Rot/Grün ist. Und das ist keineswegs verlockender, übrigens auch, wenn Sie an die Innen- und Rechtspolitik denken: Wo der Unterschied beim Thema Bürgerrechte zwischen Herrn Schily und Herrn Schäuble sein soll, dass soll mir mal erst jemand erläutern. Da macht der Herr Schäuble dasselbe, was vorher der Innenminister Schily getan hat. Wir können die Bürgerrechte nicht schützen, indem wir sie in Deutschland aufgeben. Und das ist der Denkfehler sowohl von Herrn Schily gewesen als jetzt auch von Herrn Schäuble. Wir können doch nicht plötzlich jeden Bürger, nur weil es einige Kriminelle gibt, unter Generalverdacht stellen, quasi auf jeden einen privaten Computer drauf mit Online-Durchsuchung. Das Privateste dem Staat veröffentlichen, was es überhaupt gibt, ohne dass irgendjemand mal irgendeinen bösen Anschein gegeben hat oder sich selbst verdäc htig gemacht hätte. Wir erleben das: „Von der Wiege bis zur Bahre – Formulare, Formulare“ mittlerweile, das Thema in Deutschland geworden ist. Denken Sie allein an das Thema Steuern nur mal. Da werden alle Steuerzahler erst mal verdächtigt, sie seien Steuerhinterzieher. Also das ist nicht richtig, wenn ein Land, ein Staat, der eigentlich auf das Vertrauen seiner Bürger setzen müsste, den Bürgern immer nur mit lauter Misstrauen gegenüber tritt.

Frage: Ihr potenzieller Koalitionspartner, Ihr Wunschpartner, trifft sich an diesem Wochenende zur Klausur in Wiesbaden. Steckt der Wunschpartner seinen Kurs richtig ab aus Ihrer Sicht?
WESTERWELLE: Nein. Die Union muss es auf ihrer Klausurtagung schaffen, sich diesen Linksrutsch von SPD, Grünen und Linkspartei zu widersetzen. Sie muss sich besinnen auf ihre eigenen Wurzeln, auch ausdrücklich mit einem klaren Bekenntnis zu Leistungsgerechtigkeit und sozialer Marktwirtschaft. Denn wenn es keine Leistungsgerechtigkeit in Deutschland gibt, dann gibt es übrigens auch gar keine soziale Gerechtigkeit. Denn man kann nur verteilen, was vorher erarbeitet worden ist. Und ich fordere auch die Union auf beim Thema Innen- und Rechtspolitik, sich nicht mit wohlfeilen Reden aufzuhalten oder symbolischen Anträgen, sondern dafür zu sorgen, dass mit mehr Polizei und einer besseren Ausstattung der Polizei das Vollzugsdefizit in Deutschland beseitigt wird, das heißt, dass wirklich etwas für die Sicherheit unser Bürgerinnen und Bürger getan wird und das Ganze nicht nur ein Wahlkampfmanöver bleibt.

Frage: Sind die Landtagswahlen im Januar und Februar für Sie Testläufe für den Bund? Werden Sie mit einer klaren Koalitionsaussage für Schwarz/Gelb, für die Koalition mit der Union, in die Bundestagswahl 2009 gehen?
WESTERWELLE: Die Koalitionsaussage wird auf Bundesebene auch vor der Bundestagswahl getroffen beziehungsweise die Frage wird dann beantwortet, nicht heute. Das ist, denke ich, auch naheliegend. Das machen alle Parteien so. Und übrigens in aller Bescheidenheit: Meine Partei hat vor der letzten Bundestagswahl eine Koalitionsaussage gemacht. Wir haben uns dran gehalten. Wir haben Wort gehalten. Wir haben gesagt, wir beenden Rot/Grün, wir verlängern es nicht. Und obwohl wir entsprechend eingeladen wurden, haben wir gesagt, noch so viel Ministerposten sind es nicht wert, dass wir unser Wort gegenüber unseren Wählerinnen und Wählern brechen.

Frage: Und wenn’s dann 2009, zugegeben, eine hypothetische Frage, nicht reichen sollte, wird dann Guido Westerwelle entweder selber den Hut nehmen oder von seiner Partei mit Schimpf und Schande weggejagt?
WESTERWELLE: Machen Sie sich doch weniger Gedanken um mich. Ich habe was Anständiges gelernt. Ich habe einen Beruf. Ich muss das alles nicht machen, sondern ich mache es gerne, weil ich fest davon überzeugt bin, dass Deutschland und das deutsche Staatsschiff eine andere Richtung braucht, nicht in Richtung bürokratischer Staatswirtschaft, sondern in Richtung von Leistungsgerechtigkeit und sozialer Marktwirtschaft. Und dafür werde ich kämpfen. Dafür wird es uns auch gelingen, Mehrheiten zu bekommen. Und dass es bei der letzten Bundestagswahl nicht geklappt hat, das lag nun nicht an der FDP, die war superstark bei der Bundestagswahl. Es lag an einer abgestürzten Union. Und die ist abgestürzt, nicht weil sie zu viel Marktwirtschaft gefordert hätte, sondern deshalb, weil sie sich von A bis Z im Wahlkampf vergaloppiert hatte.

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