Mittwoch, 6. Januar 1999

Neue Kraft in der Opposition

Jedes Dreikönigstreffen ist etwas besonderes. Dieses Dreikönigstreffen ist etwas ganz besonderes. Zum ersten Mal seit 30 Jahren ist die F.D.P. beim Dreikönigstreffen in der Bonner Opposition. Vor der Wahl hieß es, die F.D.P. werde wegen ihrer langen Regierungsbeteiligung untergehen. Jetzt, nach der Wahl heißt es, die F.D.P. werde verschwinden, weil sie nicht mehr an der Regierung beteiligt ist.
Die F.D.P. definiert sich nicht über eine Regierungsbeteiligung oder eine Regierungsnichtbeteiligung. Die F.D.P. definiert sich nicht über Koalitionsaussagen von gestern oder von morgen. Die F.D.P. ist und bleibt die einzige liberale Partei in Deutschland, die auf mehr persönliche Freiheit und mehr persönliche Verantwortung setzt.
Die F.D.P. lebt von der Kraft ihres Programmes und nicht von der Macht ihrer Regierungsbeteiligung. Wir leiten unser Programm nicht von den Positionen anderer Parteien ab. Wer die liberale Position nur daran mißt, wieviel Distanz sie zu den Konservativen oder zur politischen Linken hat, der wird dem Liberalismus als eigenständiger Freiheitsidee nicht gerecht.
Die Bürger verlangen zuviel vom Staat, und deshalb verlangt der Staat zuviel von den Bürgern. Die Idee der persönlichen Verantwortung und persönlichen Freiheit braucht gerade nach dem Regierungswechsel einen starken politischen Anwalt. Das ist die Freie Demokratische Partei.
Nach dem Regierungswechsel ist bisher nur eines besser geworden - die Opposition. Rot-Grün will eine Energiesteuer, aber die energieintensiven Unternehmen ausnehmen. Rot-Grün will die Beitragspflicht für 620-D-Mark-Beschäftigungsverhältnisse, aber ohne Leistungsansprüche. Trittin will die Atomsteuer, Müller den "Zukunftspfennig". Beide wollen eine höhere Mineralölsteuer, und Lafontaine will mehr Mehrwertsteuer, traut sich aber noch nicht, es zu sagen. Laut Wissenschaft nutzen die Menschen nur 10 % ihres geistigen Potentials. Und trotzdem fällt der Bundesregierung soviel Mist ein.
Die Politik von mehr Freiheit und mehr persönlicher Verantwortung bringt nicht nur bessere ökonomische, sondern auch bessere soziale und ökologische Ergebnisse. Die Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben für die größtmögliche Zahl von Bürgerinnen und Bürgern werden wir nur erreichen, wenn wir eine neue Dynamik der Marktwirtschaft entfachen. Marktwirtschaft schafft mehr Chancen für mehr Menschen. Nur wo sich Leistung lohnt, wird investiert. Nur wo investiert wird, entstehen Arbeitplätze. Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist die sozialste Politik in Deutschland überhaupt. Je erfolgreicher die Marktwirtschaft ist, so sagte einst Ludwig Erhard, desto mehr wird Sozialpolitik im alten Sinne entbehrlich. Die Definition dessen, was sozial ist und was unsozial, darf nicht länger dem Meinungskartell der umverteilenden Gutmenschen überlassen werden. Wenn die Wohltaten der Gegenwart mit immer neuen Schulden auf Kosten der jungen Generation verteilt werden, ist dies unsozial. Es ist bemerkenswert, daß genau jene, die das Wort Solidarität in der Politik stets im Munde führen, eben diese mit der nächsten Generation regelmäßig außer acht lassen.
Solidarität ist für Liberale auch die Solidarität zwischen den Generationen. Jede Generation ist verpflichtet, die Freiheitschancen der Nachgeborenen zu bewahren und nicht durch Verbindlichkeiten und Verbrauch zu riskieren. Liberale Politik schützt die Freiheitschancen der nächsten Generationen bei der Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen ebenso wie bei den Staatsfinanzen oder den Generationenverträgen. Die Verantwortung einer Generation im Gebrauch ihrer Freiheit wächst in dem Maße, in dem ihre Entscheidungen die Freiheit der nächsten Generationen beeinträchtigen.
Das Prinzip Verantwortung für die nächste Generation ist kein Thema nur für die Jungen. Gerade die Älteren wollen keine Nach-mir-die-Sintflut-Politik zu Lasten ihrer Kinder und Enkelkinder. Wir Freien Demokraten fordern die Bundesregierung auf, einmal jährlich eine Generationenbilanz vorzulegen, in der über die Belastungen der Generationen von heute und morgen umfassend berichtet wird. In ihr müssen Haben und Soll ausgewiesen sein: Auf der einen Seite die Leistungen beispielsweise für Bildung und Ausbildung, Infrastruktur und soziale Sicherheit. Auf der anderen Seite die Belastungen beispielsweise durch Staatsverschuldung, Pensionslasten und Generationenverträge. Die Generationenbilanz fördert das Bewußtsein für das Prinzip Verantwortung für die nächste Generation und stärkt den Zusammenhalt der Generationen untereinander. Unser Staat verliert sich in seinen Küraufgaben und verliert dabei die Pflichtaufgaben aus den Augen. Unsere öffentlich-rechtliche Republik bedient über 90 % der Bürger als Empfänger. Aber für mehr Lehrer oder für mehr Polizisten fehlt dann das Geld. Unser Staat muß sich wieder auf seine Kernaufgaben konzentrieren.
Zu den Kernaufgaben des Staates zählt die innere Sicherheit. Im Bereich der inneren Sicherheit ist die F.D.P. mit ungerechtfertigten Klischees belastet. Zu einem der ältesten Vorwürfe gegenüber den Liberalen gehört es, daß ihr Plädoyer für den Rechtsstaat ein Plädoyer zugunsten der Täter sei. Als neuer innenpolitischer Sprecher der F.D.P.-Bundestagsfraktion habe ich mir vorgenommen, diesem Mißverständnis entgegenzutreten. Wenn sich normale Bürger nicht mehr zur Gedächtniskirche in Berlin, zum Hamburger Bahnhof oder ins Frankfurter Bahnhofsviertel trauen, weil es da rechtsfreie Zonen gibt, ist dies eine Form von Freiheitsberaubung, die eine Freiheitspartei nicht akzeptieren kann.
Das Wort Bagatellkriminalität macht die Runde. Es ist ein gefährliches Wort, weil es Kriminalität bagatellisiert. Die Grünen wollen sogar Ladendiebstähle bis zu DM 250,- aus dem Strafgesetzbuch streichen. Das ist geradezu die Einladung zum Klauen. Wenn die Bundesjustizministerin künftig Ladendiebstähle ohne Strafverfahren mit einer pauschalierten Geldzahlung ahnden will, geht dies ebenfalls in die falsche Richtung. Jeder Straftat muß grundsätzlich auch eine Strafe folgen. Und die Strafe muß der Tat auf dem Fuße folgen. Wenn ein jugendlicher Straftäter ein Jahr und manchmal noch länger auf sein Verfahren wartet, fehlt dem Urteil die pädagogische Wirkung. Die F.D.P. will keine illiberalen Schnellverfahren, aber schnelle Verfahren.
Wir haben in Deutschland kein Gesetzesdefizit, sondern ein Vollzugsdefizit. Die Vorstellung, mit Paragraphen statt mit Polizisten Kriminalität zu bekämpfen, geht an der Lebenswirklichkeit vorbei.
Klaus Kinkel und Edzard Schmidt-Jortzig haben lange gedrängt. Erst jetzt nehmen 20 Beamte beim Bundeskriminalamt die verdachtsunabhängige Internet-Recherche beispielsweise gegen Kinderpornographie auf. Wenn Kriminelle technisch hochgerüstet sind, darf die Politik die Polizei nicht auf dem Stand der mechanischen Schreibmaschine belassen.
Die Freiburger Thesen waren für die F.D.P. ein programmatischer Quantensprung. Freiheit wird seitdem nicht mehr nur verstanden als die theoretische, sondern die gelebte, tatsächliche Freiheit. Wirklich frei ist nur, wer über soziale Sicherheit verfügt. Armut gefährdet Freiheit. Aber auch Angst, Unsicherheit und Kriminalität gefährden Freiheit. Deswegen geht es heute nicht nur um Freiheit vor dem Staat, es geht auch um Freiheit durch den Staat. Der Staat hat die Verpflichtung, die Freiheit seiner Bürger zu verteidigen. Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit.
Die Freiheitsbedrohungen haben sich verändert. Und deswegen müssen sich auch die politischen Antworten verändern.
Während noch vor zehn Jahren Datenschutz als das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber dem Staat definiert wurde, wird heute der Datenschutz gegenüber Privaten immer wichtiger. Längst geht es nicht mehr nur um den gläsernen Bürger, sondern vielmehr um den gläsernen Kunden.
Unsere Gesellschaft verändert sich im rasanten Tempo. Neben Ehe und Familie treten heute neue Formen des Zusammenlebens, neue Verantwortungsgemeinschaften. Für Liberale sind alle Lebensgemeinschaften wertvoll, in denen Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. Wenn in einer nichtehelichen oder auch gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft jemand seinen zum Tode erkrankten Partner bis zum Schluß pflegt, dann ist dies kein Werteverlust, sondern ein Wertegewinn.
Mit der Globalisierung der Wirtschaft geht die Internationalisierung der Gesellschaft einher. Politik beginnt mit der Wahrnehmung von Wirklichkeit. Wir wollen, daß die Kinder, die in Deutschland geboren werden, mit einem integrierten Bewußtsein großwerden und nicht mit einer ausländischen ausgegrenzten Identität. Die Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts liegt nicht nur im Interesse der Kinder, sie liegt vor allen Dingen auch im Interesse unserer Gesellschaft insgesamt. Die Behauptung des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, die Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts gefährde die Sicherheit in Deutschland stärker als der Terrorismus der Roten Armee Fraktion in den siebziger und achtziger Jahren ist eine empörende Kriminalisierung der bei uns lebenden ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Dies ist eine skandalöse Stimmungsmache, wie man sie bislang nur von rechtsextremen Politikern kannte. Herr Stoiber sollte sich für diese offenkundige Entgleisung entschuldigen. Man kann in der Migrationspolitik unterschiedliche Auffassungen vertreten. Die politische Auseinandersetzung muß jedoch Grenzen des Anstandes kennen und den inneren Frieden in unserer Gesellschaft schützen.
Wir Liberale wenden uns gegen den Vorschlag der Bundesregierung, eine doppelte Staatsangehörigkeit für alle auf Dauer unbegrenzt einzuführen. Wir sehen in der doppelten Staatsangehörigkeit keinen Rechtszustand auf Dauer, sondern eine Maßnahme für die Integration der hier geborenen Kinder. Die in Deutschland geborenen Kinder sollen mit einem deutschen Paß großwerden. Wenn sie volljährig sind, müssen sie sich dann zwischen der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern oder der deutschen Staatsangehörigkeit entscheiden. Dies ist ein fairer Interessensausgleich.
Die F.D.P. bietet den Sozialdemokraten von dieser Stelle aus Gespräche über eine solche vernünftige Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts im Deutschen Bundestag an. Die Kampagne der Konservativen ist ebenso ideologisch fehlgeleitet, wie die Vorstellung der Grünen, die Einwanderung nach Deutschland weiter zu vergrößern und die doppelte Staatsangehörigkeit für alle unbegrenzt und auf Dauer zu ermöglichen. Wenn noch zählt, was die SPD in der letzten Legislaturperiode vertreten hat, ist im Deutschen Bundestag eine Mehrheit der Vernunft sowohl für eine Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts zugunsten der hier geborenen Kinder als auch für ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz möglich. Wir Freien Demokraten rufen zu einem überparteilichen Bündnis in der Ausländerpolitik auf. Die Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts zugunsten der hier geborenen Kinder ist eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Die Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts liegt ebenso wie eine Kontrolle und Begrenzung der Zuwanderung im nationalen Interesse. Wer jetzt eine bessere Integration der hier geborenen Kinder durch eine Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts unterläßt, provoziert die sozialen Verwerfungen der nächsten Jahre.
Manchmal sagen kleine persönliche Erlebnisse alles: Vor einiger Zeit stritt sich vor unserem Haus in der Bonner Altstadt eine türkische Großmutter in bunter Kleidung mit Kopftuch mit ihrem kleinen Enkel. Die Oma schimpfte mit ihrem Enkelkind lautstark auf türkisch. Das Kind schimpfte nicht weniger laut deutsch zurück. Um diese Kinder geht es.
Bildung ist für die Liberalen die neue soziale Frage des nächsten Jahrzehnts. Ein Staat, der mit Milliarden Subventionsbeträgen wirtschaftspolitischen Denkmalschutz betreibt, in der Bildung aber den Mangel verwaltet, entscheidet sich gegen die Zukunft und für die Vergangenheit. Die junge Generation will einsteigen. Sie will leisten. Dafür braucht sie bessere Ausbildungschancen.
Die heutige Politik erfüllt nicht ihre Aufgabe, die Chancen der jungen Generation zu vermehren. Sie ist dabei, die Chancen der jungen Generation zu verzehren. Der Zugang zum Arbeitsmarkt wird für die junge Generation immer schwerer. Gleichzeitig werden die Anforderungen der Informationsgesellschaft immer höher. Die jährliche Erhöhung des Regelsatzes für das Bafög ist noch keine Bildungsreform. Die Verlängerung der Schulzeit von 12 auf 13 Jahre in den neuen Bundesländern ist das Gegenteil von einer Bildungsreform. Wer die junge Generation fitmachen will für die hohen Anforderungen auf unserem Arbeitsmarkt, der muß das Bildungssystem generell reformieren: Es geht um die Verkürzung der Schulzeiten. Es geht darum, daß die Überfüllung der Hochschulen nicht länger dazu führt, daß der durchschnittliche Hochschulabsolvent älter als 28 Jahre ist. Bildungseinrichtungen sind keine Wartehallen für den Eintritt in das wirkliche Leben. Bildungseinrichtungen sollen etwas mit der Vorbereitung auf das Leben und das Berufsleben zu tun haben.
Die Zentrale Vergabe von Studienplätzen ist das Paradebeispiel für die Entmündigung der Hochschulen und Hochschüler. Jeder junge Mensch muß durch eigene Leistung einen Studienplatz erlangen können. Diese Rahmenbedingungen muß der Staat garantieren. Es ist aber nicht die Aufgabe des Staates, die Verteilung von Hochschulplätzen durch die ZVS im Losverfahren zu organisieren. Die Studenten sollten sich ihre Universitäten aussuchen und die Universitäten sich ihre Studenten. Das brächte den Wettbewerb, der auch unseren Universitäten gut bekäme.Die junge Generation ist leistungsbereit, weltoffen und tolerant. Deswegen sind wir Liberale der natürliche Verbündete dieser jungen Generation. Seit der Bundestagswahl sind eintausend neue Mitglieder in die F.D.P. eingetreten. Zwei Drittel davon waren jünger als 35 Jahre alt. Wir freuen uns über jedes neue Mitglied in der F. D.P. Das Gerücht, wir hätten einen Aufnahmestopp, ist frei erfunden. Aber eine Partei, die wieder soviele junge Mitglieder hinzugewinnt, hat Zukunft. Die Verfechter des Modells öffentlich-rechtliche Republik sind in Deutschland zahllos. Wir Liberale setzen auf weniger staatliche Bevormundung und mehr Eigenverantwortung des Einzelnen für sich selbst und seine Nächsten. Das ist das unverwechselbare Angebot der Freien Demokratischen Partei gegenüber allen anderen staatsgläubigen Parteien in Deutschland. Die Zeit in der Opposition gibt uns jetzt die Chance, frei von Koalitionskompromissen unseren Zukunftsentwurf, unser Gesellschaftsmodell und unser typisches liberales Lebensgefühl umfassend zu vermitteln. Diese Chance wird die F.D.P. nutzen.

Quelle:
http://www.fdp-bw.de/docs/dreikww.doc

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